
In den 20 Jahren meiner Arbeit als Korsettdesignerin wurde ich immer wieder darauf hingewiesen, besonders gern von Journalisten, dass Korsett das ein Symbol der weiblichen Unterdrückung sei. Diesen Vorurteilen versuchte ich stets mit Gelassenheit zu begegnen. Nachdem ich in den letzten zwei Jahren eine Reihe kultureller Veranstaltungen organisiert habe, die die Befreiung der weiblichen Sexualität aus den Fesseln des Patriarchats thematisieren, werde ich nun erst recht gefragt, wie ich Korsetterie und Emanzipation miteinander verbinde. Die Antwort: Das Korsett ist dazu bestimmt, die weibliche Verführungskraft zu bestärken. Es ist nicht das Korsett, das weibliche Verführung mit Unterdrückung verbindet, sondern das Patriarchat. Denn Korsette können Frauen durchaus darin bestärken, ihre Rechte und ihr Vergnügen aktiv einzufordern. Meine neuste Kreation will diese Auffassung deutlich zum Ausdruck bringen.

Korsett und erotische Subjektivität der Frau
Als ich mich vor 20 Jahren mit der Geschichte des Korsetts zu befassen begann, stiess ich auf die Werke der amerikanischen Modeforscherin Valerie Steele. Die Untersuchung konkreter historischer Beispiele führte sie in ihrem Buch „The corset. A cultural history“ zum Schluss, dass ein Mieder schon früh ein Mittel der selbstbewussten Inszenierung weiblicher Schönheit war und in Verführungen gekonnt eingesetzt wurde. Frauen des 18. und 19. Jh. waren weit davon entfernt, lediglich Objekte des männlichen Begehrens zu sein, sondern spielten aktiv mit ihrer modischen Aufmachung. Valerie Seele lieferte mir damit einen Beweis für meine vage Intuition, dass es zu kurz greift, Korsetts per se mit Einschnürung gleichzusetzen, und sie bestätigte mir die starke Faszination für dieses besondere Objekt. Das fundierte Wissen über die Korsettgeschichte habe ich sowohl in meinem Unterricht integriert als auch den Journalisten zu vermitteln versucht.

Heute, nach der Lektüre der Werke der berühmten Soziologin Eva Illouz, würde ich zu der Analyse von Valerie Steele gerne etwas ergänzen. Auch wenn früher das Korsett den Frauen in sexuellen Beziehungen durchaus zu Subjekt- und nicht einfach zu Objektstatus verholfen haben mag, so verblieb ihre Autonomie dennoch auf einen relativ schmalen Raum beschränkt. In ihrem Werk „Warum die Liebe weh tut“ argumentiert Eva Illouz, dass Schönheit und sinnliche Anziehungskraft in der patriarchalischen Gesellschaft über Jahrhunderte so etwas wie ein „erotisches Kapital“ darstellten. Diese auf dem Heiratsmarkt und in illegitimen Liaisons bewusst eingesetzte Währung ermöglichte es Frauen, einen sonst unzugänglichen ökonomischen oder sozialen Status zu erreichen. Dass bei diesem Tauschhandel ihre sexuellen Bedürfnisse angedeutet, aber nicht unbedingt befriedigt wurden, mussten sie angesichts mangelnden Wissens über die weibliche Sexualität und in Anbetracht rigider Moralvorstellungen hinnehmen.
Erotische Freiheit und fehlende Selbstbestimmung
Heute ist die Situation anders. Die Chancen für den sozialen Aufstieg und Reichtum sind zwischen den Geschlechtern zwar noch nicht gleich, aber auf der Seite der Frauen grösser als je zuvor. Das fundierte Wissen über weibliche Sexualität ist vorhanden und gut zugänglich und die Einschränkungen der Religion sind weggefallen. Wie steht es aber um die weibliche Selbstbestimmung in der Sexualität in dieser neuen Epoche der Befreiung? Die junge Philosophin Margret Stokowski gibt in ihrem Buch «Untenrum frei» folgende Antwort: «Während wir glauben, wir hätten die Fesseln des Patriarchats längst gesprengt, haben wir nur gelernt in ihnen shoppen zu gehen». Dabei bezieht sie sich auf die Tatsache, dass sehr viele Frauen in den erotischen Begegnungen immer noch auf ihr erotisches Vergnügen verzichten. Dies bestätigen Psychologinnen und Sexologinnen wie Martha Meana, Peggy Orenstein, Tabea Freitag und Sandra Konrad, die sowohl mit reifen als auch mit jungen Frauen arbeiten. Die Forscherinnen machen darauf aufmerksam, dass vielen Frauen von heute der Zugang zum eigenen sinnlichen Empfinden fehlt. Oft wissen sie kaum, was sie wollen, und lassen sich deshalb auf sexuelle Praktiken ein, die ihnen keinen Spass bereiten. Sie täuschen den Männern ihre Erregung vor und stellen das eigene Vergnügen hintenan. Woran liegt es, dass viele Frauen selbst nach der sexuellen Revolution so bereitwillig Männer befriedigen und so wenig Engagement für die Erfüllung ihrer eigenen sexuellen Wünsche zeigen?

Psychologische Forschungen nennen unterschiedliche Gründe. Erstens sind viele Frauen immer noch überzeugt, dass sie durch sexuelle Unterwerfung das Interesse des Mannes gewinnen oder dieses erfolgreich aufrechterhalten können. Insbesondere, wenn es um die erste Verliebtheit geht, steht die Sexualität im Dienst der Bindung und wird unbewusst instrumentalisiert. Hier ist das eigene Vergnügen noch involviert, aber das erotische Potential wird oft nicht ausgeschöpft, weil Mädchen ihre Climax und all das, was zu ihr führen könnte, von ihren jungen Partnern nicht einzufordern wissen. Auch in Langzeitbeziehungen kommen viele Frauen nicht auf ihre Kosten, weil ihnen die Lust mit den Jahren abhandenkommt. Gefangen in dem Modell der monogamen Ehe, verzichten sie auf erregende Abenteuer und zwingen sich, die eheliche Pflicht auch ohne Lust zu erfüllen.
Als zweite Gruppe der Motive, weshalb Frauen auf die männlichen sexuellen Wünsche reagieren, auch wenn sie selbst dabei nicht erregt sind, nennen die Forscher Befriedigung unterschiedlicher sozialer Bedürfnisse. In vielen persönlichen Interviews und Fragebogen mit Heranwachsenden zeigt sich, dass vor allem Fellatio eine verbreitete Praktik ist, die nur von den Männern mit körperlicher Lust betrieben wird. Junge Frauen hingegen schildern sie als eine „unpersönliche Angelegenheit“ und sie vergleichen Oralverkehr sogar mit einem Zahlungsmittel, das ihnen besondere Dienste leistet. Ganz anders als vor 30 Jahren, als orale Stimulation noch als Zeichen einer ganz grossen Intimität galt.

Die Befragungen von Jugendlichen zeigen zwei Hauptmotive, weshalb junge Frauen Männer oral befriedigen, selbst wenn sie dabei weder emotionell engagiert noch erregt sind. Einerseits versuchen sie damit in Situationen grossen Drucks – bis hin zur Erpressung – den Partner mit oralem Sex zu besänftigen, ohne in den Geschlechtsverkehr einwilligen zu müssen. Die Häufigkeit, mit welcher sie diese Strategie anwenden, deutet daraufhin, dass männliche Dominanz im heutigen Dating sehr oft vorkommt und es den Frauen an anderen Mitteln, damit umzugehen, komplett fehlt. Zudem gibt es, aller Aufklärung zum Trotz, heute noch Frauen, die glauben, dass Männer aufgrund der hormonellen Unterschiede von der sexuellen Spannung befreit werden müssen und dass Verantwortung dafür einer Frau obliegt. Als zweites Motiv für ihre Fügsamkeit führen viele Mädchen an, dass eine Einwilligung in Fellatio ihnen „die richtige Art der Popularität“ unter den Männern einbringt und ihren Status in der Peer-Gruppe erhöht. Offenbar setzt hier die von Männern produzierte Pornografie bereits im Alltag die Standards dafür, was Frau für einen Mann interessant macht.
Gefragt nach ihrem eigenen Empfinden geben Mädchen zu, dass sie bei solchen Praktiken keinen wirklichen Spass haben. „But it’s definitely not the physical side of it, because that’s so gross and it really hurts my throat. I mean, it’s sort of fun getting in the rhythm of it. But it’s never fun fun”, meinte eine 18-Jährige, die von Peggy Orenstein interviewt wurde. Diese Haltung unterstützen bedauerlicherweise zahlreiche Frauenzeitschriften, indem sie nicht nur einfache Tipps für Fellatio abgeben, sondern auch – wie z.B. in der Online-Version von Glamour und Freundin – Frauen belehren, wie es möglich ist, sogar den Würgereflex abzutrainieren, um den berühmten „Job“ besser zu verrichten.
„Würde die Menschheit dieselben Anstrengungen in die Raumfahrt stecken, wie die Redaktionen von Frauenzeitschriften in Blowjob-Ratgeber, könnten wir längst zum Kaffeetrinken auf den Mars“ – bringt es Margret Stokowski auf den Punkt.
Auch ich betrachte die gegenwärtige Situation als höchst problematisch und alarmierend. Das grösste Potential der Sexualität liegt in der Reziprozität! Sexuelle Praktiken, in welchen männliche Bedürfnisse nach sexuellem Vergnügen selbstverständlich befriedigt werden, während die Frau ihre körperlichen und emotionalen Empfindungen gänzlich abspalten muss, um daraus irgendeinen sekundären psychischen oder sozialen Nutzen zu ziehen, kreieren ein ungesundes strukturelles Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Sie entfremden beide Agierende vom Glückspotential, das einer reziproken erotischen Begegnung innewohnt. Eine derartige Instrumentalisierung der weiblichen Sexualität untergräbt zudem die Integrität der Frau und zementiert die patriarchalen Strukturen.
“Orgasm is a human right”
Die erotische Anziehung zwischen den Menschen ist eine Urkraft. Von Anbeginn meiner Arbeit als Korsettdesignerin habe ich mich als Botschafterin dieser Kraft verstanden. Meine Korsetts sind dazu bestimmt, in den heterosexuellen Beziehungen die weibliche Verführungskraft zu bestärken. In meinen Kreationen sehen Frauen so aus, wie sie sich wünschen und wie das männliche Auge es erträumt. Der begehrende Blick eines Mannes vermag dafür die weiblichen Sinne anzuregen. Hier stehen sich beide Geschlechter in ihrer vollen Potenz als gleich starke Wesen gegenüber. Dieses Potenzial soll aber auch in der sinnlichen Begegnung Entfaltung und Kulmination finden. Um dies zu erleben, müssen Frauen sich dazu entscheiden, ihr sexuelles Vergnügen einzufordern.
Literatur:
The corset. A cultural history, Valerie Steele
Warum Liebe weh tut. – Eva Illouz, Surkamp 2016
Girls & Sex: Navigating the Complicated New Landscape.- Peggy Orenstein, Paperback 2017
Die versteckte Lust der Frauen. – Daniel Bergner, Knaus 2014
Emotionale Gewalt durch Pornografie und frühe Sexualisierung. -Tabea Freitag in: Bindung und emotionale Gewalt – Karl Heinz Brisch(Hrsg.), Klett-Cotta 2017
Das beherrschte Geschlecht – Sandra Konrad, Piper 2017
Untenrum frei. – Margret Stokowski, Rowohlt 2017

As a trained psychologist and tailor I always aimed for deeper understanding of fashion, seduction and gender roles and I used to see the corset as a mean of women`s subjective erotic play. It was the author of the book “The Corset. Cultural history” Valerie Steel, who helped me to understand the corset in this way and her concept of eroticism in fashion influenced my work as corset designer for past twenty years.
In the very last time however I was faced with researches showing the alarming lack of subjectivity of young women, rooted in attachment insecurity and being trapped in standards of pornographic culture. Sociological analyses of Eva Illouz led my finally to the conclusion that it is time to take apart from my artistic activity in corset-making and come back to psychology.
My last creation was an attempt for the artistic interpretation of corset as a symbol of women’s subjectivity. After long reflection I came to conclusion that only as clear statement, as the one I have placed on my corset, can make it nowadays clear, what Eva Illouz postulates in her lectures and books, f.i. “Why love hurts”. She stats that the beauty and its enhancement built the erotic asset of women in the past but she points out, that it was the only capital, which could have been exchanged for either love or social status in order to participate in the men’s power. As my own research on the history of sexuality shows this exchange didn’t included the right for erotic pleasure, which is particularly sad for such erotic garment as corset. After this reflection I came to conclusion that instead of enhancing women’s seductive power it is more important to encourage them to invest in their education and professional skills as a way to obtain the social acknowledgement and support them in their quest for sexual pleasures. The corset might still be occasionally a mean of erotic play but only if this is a play on equal footing and the gain is no other than mutual sensual pleasure.