Vom Dachboden auf die Bühne: Die Entdeckung vergessener Korsett-schätze

Im Februar eröffnete sich mir eine aussergewöhnliche Gelegenheit, auf dem Dachboden eines Hauses in Baden eine beeindruckende Sammlung von Korsetts und kostbaren Korsettstoffen aus den Jahren 1890 bis 1960 vor einer Hausräumung zu retten. Diese Entdeckung war nicht nur ein Fenster in vergangene Jahrzehnte der … Vom Dachboden auf die Bühne: Die Entdeckung vergessener Korsett-schätze weiterlesen

Korsettherstellung: Traditionelles Handwerk trifft auf persönliche Anleitung

Haben Sie schon einmal versucht, ein Korsett mithilfe künstlicher Intelligenz anzufertigen? Ich habe es versucht, die KI nach den entsprechenden Anleitungen zu fragen, und die Ergebnisse waren enttäuschend. Deshalb biete ich weiterhin meine Kurse in der Kunst der Korsettherstellung an. Denn nichts kann das persönliche … Korsettherstellung: Traditionelles Handwerk trifft auf persönliche Anleitung weiterlesen

Worte der Schönheit – Literarische Modegeschichten und Korsetts

«Kleider machen Leute» – das galt schon bei Keller, und es gilt noch heute. Genauso wie wir den persönlichen Stil unserer Mitmenschen wahrnehmen, beschreiben Schriftsteller raffinierte modische Kleidung, um ihre Roman-Charaktere greifbarer zu machen. Wie beschreibt man Stil? Den Rock als Ausdruck der Persönlichkeit darzustellen; … Worte der Schönheit – Literarische Modegeschichten und Korsetts weiterlesen

Frau im Korsett: Schön oder sexy? Weibliche Attraktivität im Wandel der Zeit

Im Interview mit Ladboten vor Kurzem wurde ich gefragt, ob ein Korsett ein Symbol für weibliche Unterdrückung oder Ermächtigung darstellt. Bereits 2018 habe ich diese Frage in meinem Essay erörtert und die Auseinandersetzung mit dem Thema führte zur Kreation eines besonderen Hashtag-Korsetts. Leider wurde diese … Frau im Korsett: Schön oder sexy? Weibliche Attraktivität im Wandel der Zeit weiterlesen

Mode Ausstellung Schweiz

Der Zauber vergangener Eleganz: Korsettausstellung im Kaffee Lou Salomé in Winterthur

Im 19. Jahrhundert waren Kaffeehäuser nicht nur ein Ort des Genusses, sondern auch Zentren des gesellschaftlichen Lebens. Hier trafen sich Menschen verschiedener Schichten, um sich auszutauschen, zu diskutieren und modische Trends zu präsentieren. Inmitten dieses pulsierenden kulturellen Umfelds fand sich auch die Korsettmode wieder, die … Der Zauber vergangener Eleganz: Korsettausstellung im Kaffee Lou Salomé in Winterthur weiterlesen

Anfertigung eines Korsetts aus St.Galler Spitze: Weiterbildung für modebegeisterte Profis

Das Handwerk des Korsettherstellens erfordert ein hohes Maß an Fachwissen und handwerklichem Können. Es bedarf vor allem einer Präzision, die von größter Bedeutung ist, um jede Naht perfekt an den Körper anzupassen und die Figur auf gewünschte Art zu formen. Es erfordert viel Sorgfalt und … Anfertigung eines Korsetts aus St.Galler Spitze: Weiterbildung für modebegeisterte Profis weiterlesen

Die Kunst der Anfertigung eines Spitzenbustiers

Spitzenbustier angefertigt unter der Anleitung von Beata Sievi

Korsetts und Bustiers, die von Lingerie inspiriert sind und als Abendgarderobe getragen werden, sind regelmässig in den Couture-Kollektionen zu sehen. Die eingesetzten BH-Schalen betonen das Dekolleté und sind ein absoluter Blickfang. Daher ist auch mein Spitzenbustier-Kurs besonders gefragt. Da er jedoch zu den anspruchsvollsten sowohl in Vorbereitung als auch im Unterricht gehört, gebe ich ihn nicht sehr oft.

Im Januar 2023 habe ich nach einer dreijährigen Pause den Spitzenbustier-Kurs wieder in mein Kursprogramm aufgenommen und konnte seit Jahresbeginn bereits vier erfahrene Damenschneiderinnen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich in der Kunst der Bustieranfertigung unterrichten. Es ist für mich immer wieder ein besonderes Erlebnis, talentierte Fachkräfte zu treffen und einen professionellen Austausch zu pflegen. Zudem berührt es mich zutiefst, wie sehr mein Fachwissen geschätzt wird und wie gekonnt es von meinen Kursteilnehmerinnen umgesetzt wird. Wenn ich bedenke, dass ich im Jahr 2009, als ich mit dem Unterrichten begann, unsicher war, ob dies eine gute Idee sei und ob überhaupt Interesse bestünde, bin ich umso glücklicher darüber, dass es heute die Tätigkeit ist, die mich mit Sinn und Befriedigung erfüllt.

Spitzenbustier Anfertigung Kurs bei Beata Sievi Corset Artist

Die Teilnehmerinnen schätzen es, in den gut eingerichteten und atmosphärischen Räumlichkeiten zu sein, die ich für die Kurse zur Verfügung stelle, und meine Korsettkreationen aus der Nähe betrachten und analysieren zu können. Zudem gibt es in den Pausen genug Zeit für den Austausch über Marketingaspekte, und ich kann vieles aus meiner 20-jährigen Erfahrung in der Beratung anspruchsvoller Kundschaft und in der Vermarktung eines Nischenprodukts weitergeben. Obwohl ich derzeit aufgrund anderer beruflicher Verpflichtungen keine Korsett-Massanfertigung anbiete, bin ich froh, dass ich auf diese Weise immer noch in Kontakt mit meinem Handwerk und der Berufswelt bleibe.

Die Anfertigung eines Bustiers hat mich seit Beginn meiner Tätigkeit als Corsetière fasziniert, jedoch war es sehr schwierig, ohne spezifisches Wissen, das nirgendwo zugänglich war, damit umzugehen. Im Jahr 1999 kam ich auf die Idee, ein Praktikum in einer kleinen Manufaktur in meiner Heimatstadt Gdansk, Polen, zu absolvieren, um dort die entsprechenden Lingerie-Nähtechniken zu erlernen. Im Gegensatz zu einer Dessous-Fabrik, die über mehrere speziellen Maschinen verfügt, um einen BH oder ein Bustier herzustellen, verfügte das kleine Unternehmen in Danzig nur über eine einzige, sehr einfache Nähmaschine. Die erfahrenen Schneiderinnen wussten dennoch mit Geduld und Geschick alle nötigen Arbeitsvorgänge auszuführen und haben mir geholfen, mein erstes Bustier aus weißer Spitze herzustellen. Noch heute basiert meine Arbeit auf dem damals erworbenen Grundwissen.

Agnieszka, erstes Model von Beata Sievi im weissen Spitzenbustier. Opernhaus Zürich, 1999
Agnieszka im Korsett von Beata Sievi aus weissen Baumwollesatin, Opernhaus Zürich 1999.

Ich habe mich bald an weitere Bustiers gewagt und – wie jeder Anfänger – versucht, auch die Modelle bekannten Modedesigners nachzuahmen, um etwas über die Technik und Machart zu lernen. Im Laufe der Jahre habe ich meine Anfertigungstechniken perfektioniert und mich den Anforderungen der Haute Couture angepasst, ohne dabei jemand zu kopieren. Durch die Zusammenarbeit mit dem renommierten Spitzenlieferanten Forster Rohner konnte ich mich auf die massgeschneiderte Herstellung von Spitzenbustiers aus St. Galler Spitze spezialisieren, die meinen romanischen Stil über viele Jahre geprägt hat.

Dieses, in den 20 Jahren meiner Arbeit als Corsetiére erworbene Fachwissen, gebe ich in Form von einem 2,5-tägigen Kurs an ausgebildete Fachpersonen weiter. Das Ziel des Kurses ist die Anfertigung eines Musterstücks in Größe 36. Die Kurse finden entweder mit einer oder höchstens zwei Teilnehmerinnen in Winterthur statt. Die Farben der St.Galler Spitze variieren von Kurs zu Kurs, und als Kursleiterin bin ich immer wieder gespannt auf die besonderen Details, die aus der Inspiration der Teilnehmerinnen entstehen.

Dekorationen am säum des Spitzenbustiers anbringen – Kurs von Beata Sievi Corset Artist , März 2023.

Ich bin dankbar für die Gelegenheit, meine Leidenschaft zu teilen und andere dazu zu inspirieren, ihre eigenen kreativen Fähigkeiten zu entdecken und freue mich jetzt schon auf neue Anmeldungen für die zweite Hälfte des Jahres 2023 unter der Adresse atelier@beatasievi.ch.

Individuelle Details beim Bustier – Kursmodel, unter Anleitung von Beata Sievi, Januar 2023

The making of a bustier has fascinated me since the beginning of my career as a corsetiere, but it was very difficult to handle without specific knowledge that was not accessible anywhere. In 1999, I came up with the idea of ​​doing an internship in a small workshop in my hometown of Gdansk, Poland, to learn the necessary lingerie sewing techniques. Unlike a lingerie factory that has several special machines to make a bra or a bustier, the small company in Gdansk had only one very simple sewing machine. However, the experienced seamstresses knew how to perform all the necessary processes with patience and skill, and they helped me make my first bustier from white lace.To this day, my work is based on the basic knowledge I acquired back then.

The art of making lace corset – course for trained dressmakers and tailors by Beata Sievi in Winterthur, Switzerland, 2023

Over the years I have perfected some of the techniques and adapted to the demands of haute couture. Through collaboration with the renowned lace supplier Forster Rohner, I have specialized in custom-made lace bustiers made from St. Gallen lace. I pass on this expertise in the form of 2.5-day courses to trained professionals. The aim of the course is to create a sample piece in size 36. The courses are held in Winterthur with either one or a maximum of two participants. The colors of St. Gallen lace vary from course to course, and as a course instructor, I am always delighted with the special details that arise from the participants‘ inspiration. I am already looking forward to new registrations for the second half of 2023 at the address atelier@beatasievi.ch. I am grateful for the opportunity to share my passion and inspire others to discover their own creative abilities.

Lace corset made during the course by Corset Artist Beata Sievi, January 2023

You wil find more information about my courses here.

UNBESIEGBAR ELEGANT

Text: Beata Sievi

Beata Sievi Corset Artist web 2020
Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller

„Wenn ich gut aussehe, fühle ich mich unbesiegbar“, – diesen Satz wählte Flurina Rothenberger, Journalistin des digitalen Magazins Republik, als Titel eines Artikels über den jungen afrikanischen Modedesigner und Fotografen Andile Buka. Bukas Statement steht für das in der afrikanischen Kultur typische Bedürfnis, durch äussere Erscheinung positiv aufzufallen, und dies ungeachtet der nicht selten prekären Lebensumstände. Die Modeaufnahmen von Andile Buka zeichnen sich durch eine innovative Bildersprache aus, die mit Coolness und Selbstbehauptung Kleider in Szene setzt, die nicht aus neuen, teuren Stoffen, sondern aus gebrauchter und ausrangierter Markenware entstanden sind. Dieses Upcycling-Design, ursprünglich aus dem sog. „thriften“ (thrift = Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit) entstanden, wurde in Afrika in den letzten Jahren zu einem neuen, wichtigen Trend.

Die Models auf Bukas Bildern wirken erstaunlich selbstbewusst, auch wenn ihre Jacken und Hüte aus Fragmenten verschiedener ausgetragener Kleider gemacht sind. Ihr Look ist gepflegt und in der Unkonventionalität leicht herausfordernd. „Sogar wenn ich nichts besitzen würde, wenn ich gepflegt und gut aussehe, fühle ich mich unbesiegbar und bereit, meine Probleme anzugehen,“ sagt der Designer und Fotograf. Ein Satz – eine Haltung. Darin erkannte ich mich spontan wieder. Dass die Bedeutung der äusseren Erscheinung für mich als Bekleidungsgestalterin und Korsettdesignerin während der 20-jährigen Berufskarriere selbstverständlich war, wird niemanden überraschen. An dieser Einstellung halte ich auch bei meinem jetzigen Engagement im sozialen Bereich fest, der seit einem Jahr mein neues Wirkungsfeld ist.

*The Sartists“, Andile Buka

Eleganz oder Nonchalance?

Angestellt als sozialpädagogische und später psychologische Praktikantin – obwohl mit einem anerkannten Diplom, zahlreichen Weiterbildungen und umfangreicher Lebenserfahrung im Gepäck – fand ich mich plötzlich auf der untersten Stufe der institutionellen Hierarchie. Eine besondere Lage für jemanden, der 20 Jahre ein eigens Unternehmen geführt hat. Im vergangenen Jahr kam ich mir oft vor, als würde ich nichts besitzen. Denn Fähigkeiten, die von der sozialen Umgebung nicht wahrgenommen und geschätzt werden, vermögen uns keine Kraft und kein Selbstbewusstsein zu verleihen. In dieser Lage blieb meine äussere Erscheinung manchmal das Einzige, was ich bewusst gestalten konnte, und ein Signal, dass ich mich selbst nicht aufgebe, trotz der Versuche meiner Umgebung, mich klein zu halten.

Anthropolog*innen halten den Drang, die eigene Attraktivität mit Hilfe materieller Güter zu steigern, gar für eines der ersten Zeichen der Zivilisation. Dieser Drang scheint allerdings nicht in allen gesellschaftlichen Feldern gleich ausgeprägt zu sein. Die sozialen Berufe, zumindest in der Schweiz, scheinen mir jedenfalls wenig davon gezeichnet. Hier ist eine nonchalante oder sogar abschätzige Haltung gegenüber Mode und Eleganz vorherrschend. Die inneren Werte im Blick, ist man bemüht zu beweisen, es nicht nötig zu haben, etwas darzustellen. Auf die Spitze trieb es einmal ein Sozialpädagoge, den ich als Referenten in meinen Salon eingeladen habe. Als ich ihn informierte, dass der Dress-Code meiner Abendveranstaltungen smart casual sei und die Gäste den eleganten Auftritt schätzten, antwortete er, dass er so kommen werde, wie er sei, und hoffe damit zu genügen. Und er trat in Turnschuhen, alten Jeanshosen und in einem ausgetragenen Hemd auf. Die Gäste fassten seine Gleichgültigkeit gegenüber der äusseren Erscheinung als ein beinahe aggressives Missachten der Regeln des Hauses auf. „Der Anspruch, um seiner unverstellten Authentizität willen genommen zu werden, wie man ist, hat etwas merkwürdig Narzisstisches“, stellt Modeforscherin und Philosophin Barbara Vinken in ihrem Buch „Angezogen“ fest. Denn damit bezeuge man, es nicht nötig zu haben, sich gegenüber den anderen in Beziehung zu setzen.
Erst, wer grosse Expertise auf einem Gebiet oder erfolgreiche Firmengründungen vorzuweisen hat, kann sich Brüche mit der Konvention leisten. Dann wird das, was bei andern unbeholfen oder peinlich wirken würde, als selbstbewusste Geste der Unabhängigkeit akzeptiert. Wenn z.B. Steve Jobs sich mit Jeans und Rollkragenpullover ostentativ über die Kleidunggebote der Businesswelt hinweggesetzt hat, wurde das gar als ein Zeichen der Kompetenz gedeutet.

Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller
Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller

In Jeans in die Oper?

Auch wenn manche es nicht wahrhaben wollen – Kleider sind ein Mittel der Kommunikation. „Durch ein angemessenes Äusseres zeigt man, dass man den Anlass und das Gegenüber respektiert, noch bevor das erste Wort gesprochen wurde. Es demonstriert den Willen und die Fähigkeit, sich in eine Gesellschaft einzugliedern“ behauptet die bekannte Imageberaterin, Elisabeth Motsch. Ihrer Ansicht nach trägt die zum Anlass passende Kleidung jenseits jeglicher verbalen Kommunikation dazu bei, eine gemeinsame Ebene mit dem Gegenüber zu schaffen. Hier gilt es, die Verbundenheit mit den anderen an die erste Stelle zu setzen und dafür die eigene momentane Befindlichkeit, z.B. die mangelnde Vorliebe für formelle Kleidung, zu überwinden. Es sei ein verhältnismässig kleiner Aufwand, der eine Übereinkunft und ein gutes Miteinander ermöglicht.
Daher schien es mir sinnvoll, in den sozialen Institutionen, in denen ich als Praktikantin tätig war, Respekt auch mittels gepflegter Erscheinung auszudrücken. Doch schon die Kombination von schwarzen Jeans und gebügeltem weissem Hemd veranlasste meinen Kollegen zur Frage, ob ich am Abend in Ausgang oder gar ins Opernhaus gehen wolle. Für mich aber käme dort ein solch bescheidenes Outfit einer Respektlosigkeit gegenüber den Künstlerinnen gleich. Im Abendkleid allerdings komme ich mir nun zunehmend deplatziert vor. Es hat sich, wie mein Kollege behauptete und ich selbst beobachte, mehr und mehr eingebürgert, in der Oper in Alltagskleidung zu erscheinen. Der gesellschaftliche Konsens betreffend Eleganz ist in der Schweiz offensichtlich am Erodieren.

Dass in der Schweiz die Kleidung so wenig geschätzt wird, erstaunt angesichts längst bekannter Erkenntnisse aus der Verhaltens- und Kognitionsforschung. Zahlreiche Experimente haben gezeigt, dass Kleider mit Status assoziiert sind, und deshalb die Kompetenz, Glaubwürdigkeit und selbst die Zuverlässigkeit der Menschen, die gut gekleidet sind, höher eingeschätzt werden. Auch die meisten der Menschen, die es abstreiten, dass äussere Attraktivität ihr Urteil beeinflusse, offenbaren in experimentellen Situationen, wie sehr sie das Aussehen anderer mit entsprechenden Charaktereigenschaften verbinden. „Kleide dich nicht für den Job, den du hast, sondern für den, den du haben willst“, empfiehlt daher Verhandlungsexperte Jack Nasher in seinem Bestseller „Überzeugt“. Ist das Zielstatus jedoch noch in weiter Ferne, muss man Fingerspitzengefühl haben – denn ein zu eifriges Nachahmen des Kleidungstils der in Rang höherstehenden könnte auch als Anmassung aufgefasst werden.

Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller
Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller

Taillenkorsett von Beata Sievi Corset Artist, kreativer Prozess
Taillenkorsett von Beata Sievi Corset Artist, kreativer Prozess

Taillenkorsett Kurs
Taillenkorsett von Beata Sievi Corset Artist, kreativer Prozess

Korsett Anfertigung Kurse Beata Sievi

Casual oder opulent? Auf der Suche nach neuen Wegen in der Gestaltung

Inspiriert durch den Artikel über Andile Buka und das Ideal der sparsamen Eleganz – das zu meinem Praktikantenstatus und -Budget bestens passte – liess ich mich im April auf ein neues kreatives Projekt ein. Mein Vorsatz war es, mit ausschliesslich bei mir schon vorhandenem Material zu arbeiten. Ich wollte ein alltägliches Accessoire anfertigen, einen Taillengurt aus Stoffresten, der ungezwungen und casual elegant wirkt. In der Form gerade, im Esprit Patchwork. Bereits bei der Stoffauswahl merkte ich, wie mich die alte Gewohnheit zu den edlen Goldtönen von Satin und Stickereien hinzog. Meine Liebe zu Opulenz führte weiter dazu, dass ich die Stoffreste zusätzlich mit einem Goldfaden bestickte und mehrmals auswechselte, bis ich mit der harmonischen Kombination der Stoffmuster ästhetisch zufrieden war. Zum Schluss verwarf ich die Idee eines geraden Gürtels zu Gunsten ausgeprägter Taillenbetonung. Entstanden ist ein Taillenkorsett, das klassischen Eleganz verpflichtet ist, wie ich sie schon immer liebte und die mir das Gefühl der Unbesiegbarkeit verleiht. Allerdings eignet es sich tatsächlich viel eher für einen Opernbesuch als für meinen Arbeitsalltag. Summa summarum – der angestrebte coole Casual-Look ist mir nicht gelungen.

Korsett Winterthur
Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller

Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller
Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller

Upcycling Design

So entschloss ich mich, weitere Inspirationen bei jungen Modedesignern zu suchen. Im Rahmen des Fashion Revolution Weeks Zurich, der dieses Jahr nur in Online-Form stattfinden konnte, stiess ich auf ein Angebot von Rafael Kuoto, einem jungen Schweizer Designer afrikanischer Herkunft, der auf Upcycling Design spezialisiert ist. Der sympathische Designer, der seine Kollektionen ausschliesslich aus gebrauchten Kleidern herstellt, bot ein Online-Seminar mit dem Titel „Pimp-up your wardorobe“ an, und ich liess mich von ihm in die Prinzipien und Techniken der Arbeit mit gebrauchten Kleidern und Materialien einweihen.
So entstand ein schwarzes Hemd mit Doppelkragen und blumigen Einsätzen im Stil von Elvis Presley. Mein erstes Outfit, das seinen Chick nicht den teuren Materialien, sondern ausschliesslich meiner Fantasie und der sorgfältigen Arbeit verdankt, und ganz der Philosophie des thrifting gerecht wird: Es kombiniert ein bereits zum Ausrangieren bestimmtes Hemd mit einem blumigen Stoff aus der Restekiste.

Begeistert von den neuen Möglichkeiten buchte ich einen Monat später zum zweiten Mal einen online Upcycling Workshop bei Rafael. Diesmal nahm mir vor, an einem neuen – lässigen – Korsettdesign zu arbeiten. Um mit meinen edlen ästhetischen Gewohnheiten zu brechen, die mich beim kreativen Prozess, insbesondere bei Korsetts, zu Opulenz verleiten, wählte ich, Rafaels Rat folgend, den gebrauchten Denim. Dieser Stoff hat – wie der junge Designer es formulierte – im Gegensatz zum Satin, mit dem ich normalerweise arbeite, «einen demokratischen Charakter». Als Stütze für die Konstruktion diente mir ein Probemodel des Rokokokorsetts, das ich 2011 für eins meiner Models fertigte.

Arbeit an einem Upcycling Korsett während des Workshops
Arbeit an einem Upcycling Korsett während des Workshops mit Rafael Kuoto

Korsett vorbereitung Beata Sievi
Beata Sievi Corset Artist – Korsett aus genrauchten Jeans – Vorbereitung

Beata Sievi Corset Artist – Korsett aus Jeans

Beata Sievi Upcycling Project

Zwischen dem ersten und zweiten Samstag, an dem das Seminar stattfand, hatte ich genügend Zeit, um alte Jeanshosen aufzutrennen, die Stoffstreifen zu schneiden und auszufransen und die viktorianischen Spitzen aus meiner Sammlung passend zu färben. Schnell merkte ich, dass die Streifen im queren Fadenlauf wesentlich sinnlicher und wertvoller wirken, es aber viel mehr Zeit als beim Längsschnitt bedarf, sie vorzubereiten. Mein Sinn für opulente Dekorationen blühte doch wieder auf, wenn auch auf neue Art.

Jeans Upcycling Beata Sievi
Beata Sievi Corset Artist – Korsett aus gebrauchten Jeans – Vorbereitung

Jeans Upcycling Beata Sievi Corset Artist

Rafael war verblüfft und erfreute sich an meiner Schaffenskraft, und gab mir zusätzliche Hinweise, wie ich noch konsequenter mit meinen gestalterischen Gewohnheiten brechen könnte – zum Beispiel durch Verzicht auf die Symmetrie im Farbverlauf. Diese Idee überzeugte mich nicht auf Anhieb, doch ich nahm es mir vor, sie zumindest auszuprobieren. Symmetrisch oder nicht, das Korsett sieht bereits in Anfangsstadium auf keinen Fall nach einem Casual Look aus. Auch dieses Werk ist opulent und wird vermutlich mehr als ein Kunstobjekt als ein Kleidungsstück betrachtet werden können. Was notabene für Upcycling ein möglicher Weg ist. Wie ich in der Zwischenzeit herausfand, gibt es im Bereich der Upcycling Art ausserordentlich opulente, höchst ästhetische textile Kunstwerke und Rauminstallationen. Befreit von dem Zwang, das Korsett als ein tragbares Kleidungstück zu betrachten, werde ich vielleicht doch noch ganz neue Dimension der gestalterischen Opulenz entdecken?

Jeans Korsett Beata Sievi Entwurf
Korsett aus gebrauchtem Denim – Entwurf, Beata Sievi Corset Artist

Und für den Alltag bleibt mir immerhin das Elvis-Presley – Hemd. Nicht so innovativ wie die Kleider von Andile Buka und von Rafael Kuoto, aber sowohl als Outfit als auch als Projekt im kreativen Atelier, wo ich nächstens eine Stelle als Fachmitarbeiterin antrete, bestens geeignet. Vielleicht ermögliche ich jungen Menschen dort, dieses Gefühl der Unbesiegbarkeit auch zu entdecken, das aus dem kreativen Schaffen und aus dem Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit entsteht?

Beata Sievi Portrait
Beata Sievi, Winterthur Mai 2020, Bild: Joachim Keller

Danksagung

Ich bedanke mich beim Fotografen Joachim Keller für die, in jeder Hinsicht, angenehme und inspirierende Fotosession : http://www.joachimkeller.com.

Mein grosser Dank geht auch an Marianne Ulmi vom Kopfwerken Ag für das einfühlsame und geduldige Lektorat.

Ribbon-Korsett Kurs am 18. März 2020

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Elerina im Robbon-Korsett angefertigt von Beata Sievi, Paris 2013, Bild: Ewald Vorberg

DasRibboncorset auf Deutsch „Zierband-Mieder“genannt, wird aus Stücken des Zierbandes – im Gegensatz zu den Miedern aus Stoff – gemacht und zählt zu den Taillenmieden bzw. Waistcincher. Ribbon-Korsetts wurden in der Zeit von 1900-1910 populär und spiegelten das wachsende Bedürfnis der Frauen nach mehr Bewegungsfreiheit, bei gleichzeitigem Wunsch, die Figur zu betonen. Seit ca. 1880 unternehmen Frauen sportliche Aktivitäten wie Tennis, Schlittschuhfahren, Badminton, Golf und Fahrradfahrern, wozu Ribbon-Korsetts, meistens aus Baumwolltwill oder Leinen, getragen wurden. Auch trifft man ein Zierbandmieder als Sommer-, Schlaf-, oder Négligé-korsett, wobei diese Varianten vorwiegend aus Seidenbändern gefertigt und mit Strapsen versehen sind.

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Kent State University Museum Corset, American, ca. 1900. Made of ribbons, side panels boned with steel.

Ribbonkorsetts wurden gelegentlich von den Frauen selbst angefertigt. An diese Tradition knüpfen meine Kurse “Anfertigung eines Ribbon-Korsetts“ und „Ribbon-Korsett nach Eigenmass” an, für die jedoch bereits gute Nähkenntnisse vorausgesetzt sind.

Korsett Kurse
Ribbon-Korsett „Belle Époque“, Beata Sievi Corset Artist, 2014

Kursinhalt:

• Individueller Entwurf und Herstellung eines Schnittmusters für das Ribbon-Korsett nach Eigenmass / Herstellung des Schnittmusters in der Standard-Grösse
• Vorbereiten der Schnürung und der Schliesse.
• Arbeit mit Bändern unterschiedlichen Breiten und Farben.
• Zusammensetzen der Korsett-Teile.
• Anbringen der Verzierungen.
• Zuschneiden und Einsetzen der Korsett-Stäbe.
• Anprobe und Korrekturen.
• Fertigstellen (ev. Vervollständigung zu Hause).

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Jede Kursteilnehmerin erhält sorgfältig gestaltete Kursunterlagen mit einer Schnitt-, Nähanleitung und Materialkunde

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Es werden verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten erläutert – Ribbon-Korsett Kurs in Winterthur

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Gestaltungsmöglichkeiten – Ribbon-Korsett Kurs von Beata Sievi in Winterthur

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Anfertigung eines Ribbon-Korsetts – Kurs von Beata Sievi in Winterthur

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Entwurf eines Ribbon-Korsetts – März 2020

Modalitäten:

Privat-Kurs „Ribbon-Korsett nach Eigenmass“ 1 Person: CHF 680 zuzügl. Material ca. CHF 70-100 (1 Abend + 1 Tag)
„Anfertigung eines Ribbon-Korsetts in Standardgrösse“ – 1 Tag – Kurs für 1 Person CHF 560 zuzügl. Material ca. CHF 70-90, Kurs für 2 Personen CHF 450 zuzgl. Material CHF 70-90
Termine können frei vereinbart werden – Mittwoch, Donnerstag oder Samstag . Anmeldung und Fragen unter: atelier@entrenous.ch

Angebot für kurzentschlossene – Kurs „Anfertigung eines Ribbon-Korsetts in Standardgrösse“ am 18. März 2020 Zeit 09:00-18:00 Uhr, in Winterthur – für 2 Personen – es wird eine zweite Teilnehmerin /ein zweiter Teilnehmer gesucht. Preis: CHF 450 zuzgl. Material CHF 50-90, es kann entweder eine schlichte oder eine dekorative Variante angefertigt werden. Wer bereits einen Kurs bei mir besucht hat bekommt für den Kurs vom 18. März 20% Skonto.

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Jonatan und Elerina im Ribbon-Korsett von Beata Sievi, Paris 2013, Bild: Ewald Vorberg

 

 

 

Kimono-Kunst und japanische Literatur

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Bild Liliane Eberle

Meine Faszination mit der japanischen Kultur besteht seit meiner Jungend und wurde durch die Romane des japanischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Yasunari Kawabata geweckt, die ich in der Bibliothek meiner Pflegemutter fand. Die geheimnisvollen Titel wie „Schneeland“ , „Tausend Kraniche“ und „Die Stimme des Berges“ oder „Die schlafenden Schönen“ weckten meine Neugierde und ich erlag schnell der Magie altjapanischer Traditionen und Mythen und Kawabatas origineller Sprache. Seine Dialoge verstummen oft nach Andeutungen, Bildfolgen sind gleichsam musikalisch komponiert. Seine Protagonisten sind meistens durch tiefe Emotionen der Liebessehnsucht und Trauer bewegt, doch bleibt ihr inneres Leben verborgenen und drückt sich höchstens symbolisch aus – im Muster des getragenen Kimonos oder in einer Teeschale, die man als Geschenk der geliebten Person überbringt.

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Polnische Übersetzungen japanischer Litaratur

Um meiner langjähriger Faszination mit der japanischen Kultur Rechnung zu tragen, habe ich 2005 für mich ein traditionelles japanisches Kostüm angefertigt, das aus einem festlichen Kimono, einem Unterkimono (nagajuban) und einem Obi besteht. Der Kimono wurde von mir, gemäss der japanischen Tradition, von Hand genäht, wobei die gesamte Kreation mehr als 50 Stunden Arbeit benötigte. Während ich in der Form und beim Wahl der Accessoires der japanischen Tradition verpflichtet blieb – und für meinen Kimono den Furisode Still wählte – war es mir von Anfang an klar, dass ich beim Auswahl des Stoffes eine Liaison mit den Europäischen  Muster-Optik anstrebe. Aus diesem Grund habe ich mich für einen Seidensatin mit Mohnblumen-Muster von Fabric Frontline in Zürich entschieden.

Kimono-Anfertigung, Beata Sievi, Bild: Liliane Eberle 2005

Kimono-Anfertigung, Beata Sievi, Bild: Liliane Eberle 2005
Kimono-Anfertigung, Beata Sievi, Bild: Liliane Eberle 2005

Kimono-Anfertigung, Beata Sievi, Bild: Liliane Eberle 2005
Kimono-Anfertigung, Beata Sievi, Bild: Liliane Eberle 2005

Kimono-Anfertigung, Beata Sievi, Bild: Liliane Eberle 2005
Kimono-Anfertigung, Furisode – Kimonoärmel, Beata Sievi, Bild: Liliane Eberle 2005

Das Ankleiden und Tragen eines Kimonos ist eine Kunst, in der ich mich von einer japanischen Kimonomeisterin unterrichten lies. Auch die meisten japanischen Frauen wären nicht in der Lage, ohne weitere Hilfe einen Kimono korrekt anzuziehen. Die typische Ausstattung für Frauen umfasst normalerweise zwölf oder mehr einzelne Stücke, die jeweils auf eine bestimmte Weise angelegt werden müssen. Es gibt daher noch immer professionelle Kimono-Anlegegehilfen, die man vor allem für besondere Anlässe zur Unterstützung anstellen kann.

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Nagajuban, Kimono-Anziehen, Beata Sievi, Bild: Liliane Eberle 2005

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Anziehen eines Kimonos, Bild: Liliane Eberle

Anziehen eines Kimonos, Bild: Liliane Eberle
Anziehen eines Kimonos, Bild: Liliane Eberle

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Anziehen eines Kimonos, Bild: Liliane Eberle

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Anziehen eines Kimonos, Bild: Liliane Eberle

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Kimono von Beata Sievi, festlich gebundener Obi

Während eines Gala Dinners mit den Geishas aus Kyoto im japanischen Restaurant Hasenberg hatte ich eine Gelegenheit, mein Kimono zum ersten mal zu tragen. Ein ganz besonderes Erlebnis war auch die persönliche Begegnung mit den Geishas, die mir erlaubt haben ihnen beim Anziehen ihren festlichen Kimonos zuzuschauen.

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Geishas ziehen die Kimonos an, Bild: Liliane Eberle

Geishas ziehen die Kimonos an, Bild: Liliane Eberle
Geishas ziehen die Kimonos an, Bild: Liliane Eberle

Geishas ziehen die Kimonos an, Bild: Liliane Eberle
Kopfschmuck einer Maiko, Bild: Liliane Eberle

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Maiko beim Anziehen eines Kimonos, Bild: Liliane Eberle

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Maiko, Tanz mit den Fächern, Bild: Liliane Eberle

Geisha, Tanz mit den Fächern, Bild: Liliane Eberle

Der Auftritt der beiden Geishas umfasste Schamisen-Spiel, Fächerspiel und Tanz und war von grosser Anmut gekennzeichnet. Die Geishas haben mich nach der Vorführung auf die Bühne geholt, mein Kimono bewundert und anschliessend wurde ich in das Fächerspiel und einige Tanzbewegungen eingeführt.

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Beata Sievi und eine japanische Maiko, Bild Liliane Eberle

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Begegnung von Beata Sievi mit einer Geisha, Bild: Liliane Eberle

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Beata Sievi in ihrem handgefertigten Kimono: Bild Liliane Eberle

2005 hatte ich zudem eine Gelegenheit ein männliches, japanisch inspiriertes, Kostüm im Auftrag eines Kunden anzufertigen. Das Kostüm bestand aus Hakama-Hose, einem seidenen Haori und einem Herren-Korsett aus Seidensatin. Die Kreation wurde durch die asiatischen Krieger-Gewänder inspiriert. In der Mitte des Korsetts war ein antikes asiatisches Bronze-Amulett mit erotischen Motiven angebracht. Auf die Innenseite des Korsetts habe ich die Reproduktionen von Shungas – den japanischen Holzschnitten aus dem 17 Jh. – gedruckt.

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Herrenkorsett „Voyage a Yoshiwara“ Beata Sievi Corset Artist

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Herrenkorsett „Voyage a Yoshiwara“ Beata Sievi Corset Artist

Herrenkorsett "Voyage a Yoshiwara" Beata Sievi Corset Artist
Herrenkorsett „Voyage a Yoshiwara“ Beata Sievi Corset Artist

« Le chevet lui-même,
Ne sachant rien, se taira :
Ce doux entretien,
Monsieur, tenez-le secret,
Songe d’une nuit de printemps. »

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Damit auch meine literarischen Inspirationen in mein kreatives Schaffen eingebunden werden, habe ich 2006 im Atelier „entre nous“ für meinen Kundenkreis eine Soirée veranstaltet, die neben der Kimono und Schamisen Vorführung auch eine Lesung mit dem Schauspieler Gilles Tschudi aus dem Roman „Die schlafenden Schönen“ umfasste. Es war eine Fantasiereise nach Japan, die allen Beteiligten lange in Erinnerung blieb.

Am 29. Februar 2020 möchte ich das Thema in meinem Salon für Philosophie und Beziehungskultur wieder aufnehmen. Mein Gastsprecher ist Thomas Blubacher.

Samstag, 29. Februar 2020, 17 Uhr – „Die schlafenden Schönen“ – Thomas Blubacher liest aus dem Roman von Yasunari Kawabata, Moderation und Kimonovorführung – Beata Sievi.

Ort: Beata Sievi`s Salon Bibliothek, Winterthur. Eintritt CHF 65 ( inkl. Sushi, Sake). Anmeldung: salon@beatasievi.ch. Anmeldeschluss 15.12.2019 Weitere Informationen über diese Veranstaltungen finden Sie unter diesem Link.

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Über den Sinn für das Schöne und die Exzellenz

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Spitzenbustier angefertigt unter der Anleitung von Beata Sievi Corset Artist 2019

Auch wenn ich derzeit keine Spitzenkorsetts anfertige, vermittele ich weiterhin das Wissen über die hochwertige Verarbeitung und perfekte Passform an interessierte Fachpersonen. Vor wenigen Tagen stellte sich eine erfahrene und talentierte  Damenschneiderin aus Deutschland der Herausforderung der Anfertigung eines Spitzenbustiers unter meiner Anleitung. In den drei Tagen, an denen wir zusammen arbeiteten, erzählte sie mir von ihrer grossen Sehnsucht nach den traditionellen Standards der Schönheit und Perfektion in unserem Kunsthandwerk. Obwohl sie sehr erfahren ist und die beste Nähtechnik beherrscht, durfte sie diese – als Angestellte in einem angesehenen Couture Atelier – nicht anwenden. Der finanzielle Druck zwang die Leitung des Ateliers zu Sparmassnahmen und es wurde allen Angestellten eine minderwertige Verarbeitung nahegelegt. Die lebenserfahrene und begeisterungsfähige Couturiere blühte im Verlaufe meines Kurses auf und erfreute sich über die Arbeit mit der kostbaren St.Galler Spitze von Forster Rohner und über jedes handgefertigte Detail.

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Spitzenbustier Anfertigung – Kurs von Beata Sievi Corset Artist 2019

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Spitzenbusier-Anfertigung, Kurs von Beata Sievi Corset Artist 2019

Spitzenkorsett Nähen
Spitzenbustier Musterstück angefertigt unter der Anleitung von Beata Sievi während des Kurses

„Schönheit – sagt der englische Philosoph Roger Scruton in seinem Film „Why Beauty matters?“stellt ein realer und universaler Wert dar, der in unserer rationellen Natur gründet. Der Sinn für Schönheit spielt eine unersetzliche Rolle in der Gestaltung des menschlichen Lebens und unserer Welt.“ In der individuellen Wahrnehmung besitzt das Schöne stets eine überzeugende Kraft, der wir uns nicht entziehen können. „Es spricht zu uns direkt wie die Stimme eines intimen Freundes. Wenn es Menschen gibt, die der Schönheit gegenüber gleichgültig sind, so ist es sicherlich weil ihnen das Wahrnehmungs-Sensorium dafür fehlt.“ Diese Hypothese von Scruton vermag den Schmerz erklären, den eine Person empfinden muss, wenn sie den tief verankerten Standards der Schönheit in ihrer kunsthandwerklichen Arbeit nicht folgen darf.

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Spitzenbustier 2007, Model Barbara

Wenn ich auf die zwanzig Jahre meiner Arbeit als Corsetiére zurückblicke, bin ich dankbar, dass ich mich zu keinen ästhetischen Kompromissen durch Sachzwänge verleiten liess. Es ist für mich auch nicht überraschend, dass bei mir die Liebe zu Schönheit auch in einem Persönlichkeits-Test, dem ich mich im Rahmen der neuen beruflichen Orientierung unterzogen habe, im obersten Rang erschien. Prof. Martin Seligman, der mit seiner Zusammenstellung der 24 Tugenden, die ein glückliches Leben ermöglichen, die Grundlagen zu diesem Test lieferte, betrachtet die Sensibilität für das Schöne und die Exzellenz als eine Stärke, die uns einer höheren Macht näherbringt und Sinn stiftet.  Doch ist es vielen, die meine Arbeit und die ästhetische Kompromisslosigkeit bewundern, nicht bewusst, dass meine Tätigkeit in finanzieller Hinsicht stets ein Balanceakt war, der sehr viel Kraft erforderte. Der Sinn für das Schöne an die erste Stelle zu setzen bedeutet oft, in anderen Bereichen Kompromisse hinzunehmen.

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Spitzenbustier angefertigt von Beata Sievi, Model Barbara 2007

Seit einigen Monaten bin ich im sozialen Bereich tätig und versuche das Handwerk, Kreativität und Ästhetik mit den psychologischen Themen zu verbinden. Meine Eindrücke, die ich in verschiedenen Institutionen gewinnen konnte, sind vielfältig. Sie reichen von den Begegnungen mit wahren Kunstwerken und Objekten, die sowohl den Herstellenden als auch den Betrachtern – selbst mitten in grossen Lebenskrisen – Freude bereiten, bis zum vollkommenen Verzicht auf das Ästhetische zu Gunsten reiner Funktionalität. Im letzteren Fall wird nur ein Ding hergestellt und nicht kreiert. Der Mensch wird zu einem Objekt, das beschäftigt werden muss, ohne die Möglichkeit zu haben, auf die Gestaltung der von ihm gefertigten Produkte Einfluss zu nehmen.

In vielen sozialen Einrichtungen werden insbesondere die mit Weiblichkeit assoziierten textilen Arbeiten nachlässig behandelt, während für die Holz- und Metallarbeiten, die meistens an Männer delegiert werden, stets höhere Qualitätsstandards gelten. In diesem Zusammenhang wurde ich einmal mit der Behauptung konfrontiert, dass das Ansehen der Schönheit und Qualität der textilen Produkte die Teilnehmer*innen unter Druck setzen würde, weshalb man auf die ästhetischen Aspekte in diesen Arbeiten lieber verzichte.

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Goethe, Farbenkreis zur Symbolisierung des menschlichen Geistes- und Seelenlebens,1809

Diese Haltung widerspricht den bereits lange bekannten neurobiologischen Erkenntnissen, dass das Schönheitsempfinden mit der Aktivierung des genannten „Belohnungssystem“ zusammenhängt, zu dem sowohl der Nucleus accumbens sowie der entwicklungsgeschichtlich jüngere orbitofrontale Cortex gehört, der generell bei Entscheidungs- und Urteilsprozessen eine wichtige Rolle spielt und somit auch die Motivation beeinflusst. Neulich befasst sich die Neuroästhetik mit den Fragen nach den Zusammenhängen zwischen der Wahrnehmung der Schönheit und den entsprechenden  Hirnaktivitäten. Die neuesten Forschungsergebnisse, die durch Neurobiologen aus dem Max Planck Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Mein vorgelegt wurden zeigen, dass wir beim betrachten von schönen Dingen – so die Ergebnisse der Bildgebenden Studie –  angenehme Zustände erleben, weil dabei auch das so genannte Ruhezustand-Netzwerk im Gehirn aktiv wird. Was genau uns berührt, ob Natur, Kunst, Bauwerk oder Handwerk spielt dabei keine Rolle. Das Team vermutet sogar, dass es einen universellen Code für ästhetisch schönes Erleben geben könnte.

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Handtasche mit St.Galler Stickerei angefertigt in reiner Handarbeit in einer sozialpädagogischen Institution unter der Anleitung von Beata Sievi

Auch wenn es noch eine Weile dauern wird, bis ich auch auf diesem Gebiet meine eigene Visionen verwirklichen kann,  bin ich überzeugt, dass sich meine Liebe zum Handwerk und mein soziales Anliegen fruchtbar verbinden lassen. In der Zwischenzeit stehen allen Interessierten die Privatkurse im Korsett-Handwerk und Besuche in meinem Korsett-Kabinett offen und ich freue mich, wenn es mir gelingt, neben neuen beruflichen Verpflichtungen in der Arbeitsagogik, gelegentlich in die Welt der Korsetterie und Schönheit vorbehaltlos einzutauchen.

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Spitzenbustier Seduction Parisienne, prét-à-porter, Preis auf Anfrage.

„Last call“ für die Korsett-Ausstellung in Basel

Historisches Korsett aus der Kollektion „Nuit de satin“

Das Korsett diente den Frauen über die gesamte Modegeschichte dazu, ihre Weiblichkeit und ihre Schönheit diskret zu betonen oder glamourös in Szene zu setzen. In meinem Essay „Frau im Korsett – über die Schönheit und Sexappeal im Wandel der Zeit“,  den ich anlässlich der Ausstellung „Korsetts edel und bunt geschnürt“ in Museum Spielzeug-Welten in Basel verfasst habe, erfahren Sie mehr über die Bedeutung des Korsetts in der Modegeschichte und über 20 Jahre meiner kreativen Arbeit.

Die aussergewöhnliche und umfangreiche Ausstellung ist noch bis 6. Oktober 2019 zu sehen.  Ausgestellt sind sowohl  60 Korsetts aus der Zeit von 1775 bis um 1925, darunter einzigartige, massgeschneiderte und exklusive Modelle aus Seidensatin in kräftigen Farben mit wunderschönen Stickereien aus der Sammlung Nuits de Satin aus Paris als auch  45 meinen Kreationen aus den Jahren 1999-2018.

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Korsett „Contessa Rouge“ Beata Sievi Corset Artist 2003

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„Ecole du corset“ – Korsett mit sichtbaren Korsettstäben, angefertigt von Beata Sievi für Unterrichtszwecke

Detaillierte Informationen über die Ausstellung finden Sie unter diesem Link.

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Eine interessante Ausstellungs-Reportage und ein Interview mit mir sind in dem Artikel von Nicole Tabany in der Schweizer Familie erschienen: Die Inszenierung der Weiblichkeit SF. Zudem sind einzelne Kreationen sind im unter dem Button „AUSSTELLUNG IN BASEL“ im Menu auf diesem Homepage detailliert vorgestellt.

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Der Kern meiner Kollektion – 25 hochwertigen, handgefertigten Korsetts aus edelsten Materialien – wird ab Ende Oktober 2019 weiteren kulturellen Institutionen oder privaten Interessenten für Ausstellungszwecke zu Verfügung stehen. Die Liste der Kreationen kann hier eingesehen werden: Beata Sievi Corset Artist COLLECTION

Einige Korsetts werden nach der Ausstellung zum Kauf angeboten. Die Liste der verkäuflichen Kreationen mit der Angaben von Wert und Grösse finden Sie hier: Beata Sievi Corset Artist COLLECTION 1999-2019 – CORSETTS FOR SALE

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„Falcon-corset“ by Beata Sievi Corset Artist 2016

Frau im Korsett – von Schönheit und Sexappeal im Wandel der Zeit

Essay zur Korsett-Ausstellung in Basel, Beata Sievi 2019

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«Frau im Korsett täuscht uns einen perfekten Körper vor“, stellte der Modekritiker Eugene Chapus 1862 fest und fügte hinzu: „Diese Frau ist eine Lüge, doch ziehen wir offenbar die Lüge der Wirklichkeit vor». Frauen ihrerseits waren sich der Wirkung der Halbwahrheit bewusst und brachten seit Ende des 17 Jh. ihre Reize mit mehr oder weniger steifem Mieder konsequent zur Geltung. War diese Praxis ein Tribut an den männlichen Geschmack und somit Unterwerfung oder entsprang sie dem eigenen Bedürfnis nach Selbstinszenierung? Was bedeutete es für Frauen überhaupt, ein Korsett zu tragen? Und was heisst es heute, Korsett-Anfertigung als Beruf zu wählen? Habe ich in meiner 20-jährigen Arbeit als Corsetiére der Selbstermächtigung der Frauen oder eher dem Patriarchat gedient?

Mein erstes Korsett war durch eine romantische Liebe inspiriert. Als beginnende Korsettdesignerin befand ich mich 2001 in einem außerordentlich intensiven Briefaustausch mit einem französischen Intellektuellen, der nicht weniger als ich von Korsetts fasziniert war. Unsere Korrespondenz, die mir verdeutlichte, dass das Korsett eine ideale Projektionsfläche für vielfältige geheime Wünsche sein kann, befruchtete meinen eigenen Wunsch, ein solches Kleidungsstück auch für mich selbst anzufertigen. Das Projekt war stark mit der Sehnsucht nach Anerkennung verbunden. Der Mann behauptete nämlich mehr über Korsetts als Objekt zu wissen, als ich je einmal im Stande sein würde und löste damit mein künstlerisches Aufbegehren aus. Ich bedruckte den Stoff für meine Kreation mit den Gedichten von Apollinaire und dessen Briefe an seine Geliebte Lou, um meinen Korrespondenten von meinem handwerklichen Können und von meiner Zuneigung zu überzeugen. Das Korsett „Lou“, in welches ich 50 Stunden Arbeit investierte, das äusserst originell und kunstvoll gestaltet war, jedoch nicht sehr eng wirkte, beeindruckte jedoch mehr meine Kundinnen als den Adressaten. So eröffnete sich mir eine neue kreative Epoche, die jenseits dieser Liebe fruchtbar war.

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Korsett – ein Folterinstrument?

Das «Korsett als Folterinstrument» ist für mich, im Gegensatz zur populären Auffassung, ein Mythos. Mit meinen Wurzeln in der polnischen Kultur, welche die Geschlechtsunterschiede im sozialen Verhalten stark betont, war ich schon früh für die weibliche Schönheit sensibilisiert. Eine bewusste Gestaltung des eigenen Äusseren, insbesondere der eigenen Kleidung, war für mich immer ein kreativer Akt, der auf das innere Wohlbefinden und auf das Selbstwertgefühl einen grossen Einfluss hatte. Die Kleider, die ich mochte, mussten nicht den Anspruch auf Tragkomfort, sondern den auf Eleganz zu erfüllen. Als ich mit den Studien der Korsettgeschichte begann, überzeugten mich daher die Ausführungen der Modehistorikerin Valerie Steele, dass das Tragen des Korsetts immer ein von Frauen bewusst eingesetztes Mittel der Inszenierung ihrer Schönheit war. In ihrem Buch «Womens fashion and eroticism» vertritt sie die Ansicht, dass ein Mieder immer ein selbstgewähltes Spiel mit den erotischen Reizen des Körpers ermöglichte, und die Trägerin dabei unzugänglich und geschützt blieb. Dies habe den allfälligen Mangel an Tragekomfort bei Weitem ausgeglichen:
«Die Mode war zuweilen unbequem oder unpassend, aber sie hat von möglichen Defiziten der Natur abgelenkt, während sie auf attraktive Merkmale aufmerksam machte und die Trägerin idealerweise hübsch und charmant aussehen und fühlen liess» – meint die Autorin. Das impliziert aber keinesfalls, dass Frauen ein modisches Accessoire wie Korsett mögen, weil es schmerzhaft ist. Der menschliche Geist kann sich offensichtlich auch an dem erfreuen, was für den Körper Schmerz oder zumindest eine Unannehmlichkeit bedeutet.

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Mode als Inszenierung des idealen Ichs

Die Funktion der Mode liegt nach Valerie Steele grundsätzlich darin, einem Menschen das Inszenieren eines idealen Selbsts zu ermöglichen. Das Korsett eignet sich hier perfekt, da es durch die modellierende Funktion dem Körper eine ideale Form verleiht. Ob der Taillenumfang dabei nur minimal oder drastisch reduziert wird, kann individuellem Empfinden angepasst werden. Mehr als alle anderen Kleider ist das Korsett dazu prädestiniert, Ausdruck einer Vision unseres physischen Selbst und unseres Selbstbewusstseins zu sein. Innerhalb der vorherrschenden Modetrends und ihrer materiellen Möglichkeiten haben Frauen daher immer die Kleider gewählt, die ihnen ein besseres Image ermöglichten. «Unsere modische Erscheinung ist eine Form der Selbstpräsentation, ein Kompromiss zwischen dem, was wir sind, und dem was wir sein möchten, zwischen dem privaten Selbst und dem Selbst für die anderen» – stellt Valerie Steele fest – «Mode ist immer ein Widerspruch zu Natürlichkeit, weil sie dem Menschen hilft nicht das reale, sondern das ideale Bild von sich selbst zu kreieren.»

Die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, das Korsett als Vehikel des «idealen Selbst» einzusetzen, resultierte in meinem Fall in der neuen Kreation «Contessa rouge». Nicht nur war dieses Korsett in der Taille deutlich enger als alle vorherigen Modelle, sondern es verfügte auch über einen elaboriertes balconett, um den Brüsten eine vollendete Form zu geben. 40 Bänder mussten zwischen zwei Stoffschichten eingezogen werden, um einen sanften und doch sicheren Hebe-Effekt zu erreichen. Den hochwertigen Stoff sandte mir der französische Verehrer, mit dem ich inzwischen 300 Briefe ausgetauscht hatte, als Inspiration zu. Er hatte ihn an der Rue Montmartre in Paris eingekauft, bei einem Stoffhändler, der auch die Haute Couture Häuser belieferte. Füllig und edel schimmernd trug der rote Satin Duchesse aus reiner Seide einen Hauch der grossen Welt in mein Atelier in der Altstadt von Winterthur und täuschte mir und meinen Kundinnen Zugang zur weltlichen Opulenz vor.

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Korsett, Krinoline und weibliche Macht

Die Opulenz faszinierte mich fortan, insbesondere die des Barocks und des Rokokos. Immer wieder stellte ich mir die Frage, warum es stets neue Moden, neue Looks gab, die alle samt durch neue Formen des Korsetts ermöglicht wurden. Valerie Steeles antwortet und bringt es auf den Punkt: « Das Bedürfnis nach Neuem ist konstant und wird immer durch, egal wie geartete Kontraste, befriedigt, es geht um die immerwährende Erneuerung der erotischen Neugierde.» Meine künstlerische Neugierde veranlasste mich, detaillierte Recherchen über die wichtigsten historischen Korsettformen anzustellen, und mit den Jahren führte mein Ehrgeiz so weit, dass ich sie alle nachahmen konnte.
Das aufwendigste Projekt in diesem Zusammenhang war die Kreation «Madame Du Barry», die der Maitresse des Ludwig XV gewidmet war. Über 200 Stunden Arbeit erforderten das Korsett und die dazugehörende Krinoline, ein wahrhafter Exzess, erst recht angesichts der Tatsache, dass es dafür keine Auftraggeberin gab. Zumindest wurde die Robe im Rahmen einer kleinen Inszenierung vorgeführt. «Paradies im Boudoir» war ein Kabinettstück mit fünf Models und mit Harfenklängen für eine Handvoll nobler Kundinnen und Kunden. Während der Aufführung fiel die unglaubliche Anmut der Frau auf, die das enge Korsett und die opulente Krinoline trug, in der für Rokoko typischen ovalen Form. Und wie sie ihren Begleiter, dem es an Schönheit auch nicht fehlte, in den Schatten stellte.

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Kritiker der Krinolinen-Mode betrachteten das Accessoire im 18 Jh. als verwerflich, weil durch den bis zu drei Meter breiten Pannier ein Mann gezwungen wurde, hinter der modisch angezogenen Frau zu gehen. Die männlichen Kommentatoren deuteten den imposanten Umfang der Stahlreifenkrinoline, die nach einem kurzen Rückzug in den Zeiten der Französischen Revolution ein grosses Revival im 19 Jh. feierte, als Sinnbild für Statusdenken und Machtwillen der Frauen. In den Augen dieser Kritiker schien sich das schwache Geschlecht mittels der raumgreifenden Mode bewusst eine bessere Stellung anzumassen und den im Vergleich unscheinbar wirkenden Mann wörtlich beiseite zu drängen.

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In einer berühmten Karikatur von Charles Verniers 1857 wird eine Dame in einer Ballkrinoline dargestellt, die so gross ist, dass sie das Passieren einer normalen Türöffnung unmöglich macht. Zwei mit Spitzhacken bewaffnete Diener müssen einen breiteren Durchgang zum Ballsaal in die Wand schlagen. Korsett und Krinoline, die modischen Accessoires, die ihren Ursprung in der männlichen Vorliebe für eine schlanken Taille und breite Hüften hatten, wandelten sich in eine Strategie, die wortlos darauf abzielte, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern umzustürzen.

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Optimierte Nacktheit – Korsettphilosophie im Boudoir

Die modischen Interessen der Frauen und ihr Streben nach Schönheit wurden oft als Eitelkeit bezeichnet und moralisch getadelt. Im Victorianischen England erschienen mehrere kritische Schriften, die in der Gesundheit, dem offenen Blick und der distinguierten Bewegung die ausreichenden Kriterien der Attraktivität einer Frau sehen wollten. Es seien die Qualitäten des Charakters wie Höflichkeit, Bescheidenheit und Selbstrespekt, die dem Körper die Aura der Schönheit verliehen – behauptete ein anonymer Autor von „Artificial Woman-Making“ in 1869. Vielleicht versteckte sich hinter diesen Aussagen der meist männlichen Kritiker die Angst vor den verführerischen Reizen der modisch gekleideten Frauen, deren Sexualität als gefährlich galt? Ungeachtet dieser Kontroverse zwischen natürlicher und künstlicher Schönheit ist ab ca.1870 ein gesteigertes Interesse der Frauen an luxuriöser Lingerie zu beobachten. Die Wäsche-Korsetts dieser Zeit werden aus farbigem und gemustertem Seiden-Satin gefertigt, oft von Hand bestickt und mit einem passenden Petticoat ergänzt. Es ist offensichtlich, dass dabei der Moment des Ausziehens mitbedacht wurde.

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In meinem Atelier empfing ich zuweilen Frauen, die – wie ich in den Gesprächen erfuhr – in intimen Situationen raffinierte Unterwäsche der Nacktheit vorzogen. Meine Korsetts mit ihrem ungewöhnlichen Design assoziierten sie aber eher mit Prestige und Gala-Events als mit einer intimen Situation der Verführung. Bis mich eine neue Kundin ausdrücklich darum bat, ein Korsett für sie zu entwerfen, das leicht genug wäre, um im Schlafzimmer getragen zu werden. Ihre Vorliebe für Dessous teilte sie mit ihrem attraktiven, um mehrere Jahre jüngeren Liebhaber. Ihre Geschichte erinnerte mich an die neuste Forschung der amerikanischen Neurologin Martha Meana, die besagt, dass der Ausdruck der Begierde in den Augen eines Mannes für Frauen das stärkste Aphrodisiakum sei. Weshalb also nicht mit der Illusion eines perfekten Körpers spielen, um das Verlangen zu steigern? Ich bestellte für meine Kundin aus England einen feinen Stoff und vom renommierten St. Galler Fabrikanten Forster Rohner zauberhafte Guipuire-Spitze. Es entstand ein Korsett, das eine perfekte Synthese aus Romantik und Frivolität darstellte und auch weitere Kundinnen begeisterte. Hat nicht schon Helene Hessel 1920 behauptet, dass jede Frau mit Hilfe der geschickten Kleidung im Stande sei, der «natürlichen» Polygamie des Mannes entgegenzuwirken? Die Berichte meiner Kundin über ihre lustvollen Erfahrungen und vor allem ihre wiederkehrenden Aufträge hielt ich für den Beweis des Erfolgs dieser Strategie.

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Die Boudoir-Kollektion aus den Jahren 2014-2017 war mein Versuch, das Spiel des Verhüllens und Enthüllens in den Vordergrund zu stellen. Der Name der Kollektion «Boudoir» nimmt Bezug auf die Bezeichnung des intimen Raumes zwischen dem Schlafzimmer und Essraum, in welchem im 18 Jh. Damen der Aristokratie ihre Liebhaber zu Besuch empfingen. Die an meinen neuen Korsetts angebrachten Strapsen, Spitzen, Schnürungen und Bänder dienten dazu, der Trägerin zu helfen, aus einem Akt der Entkleidung eine wahre Inszenierung zu machen und waren darauf ausgerichtet, das Auge des Betrachters und vor allem seine Geduld aufs Äusserste zu reizen. In der Folge durfte ich einige Boudoir-Korsetts als Geschenk begeisterter Herren an ihre geliebten Damen anfertigen.

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Ein zeitgenössischer Philosoph bestärkte meine Auffassung der Erotik: „Das Erotische lebt nicht nur von einer Differenz zwischen den Geschlechtern, die angeblich längst hinfällig geworden ist, es lebt vor allem von einer Gestik des Entblössens, die wusste, dass das Wechselspiel von Enthüllen und Verhüllen nicht nur im faktischen Sinne das erotische Begehren strukturiert, sondern dem Eros auch seine philosophische Dignität gibt». Das schreibt Konrad Liessmann in seinem Essay «Eros, der listige Gott» und er fügt hinzu: «Eros ist in hohem Masse ein Spiel mit dem Verbergen und Entbergen von Wahrheiten, und die zufällig oder gezielt dem Blick preisgegebene Haut, die mehr ahnen als sehen liess, galt lange als das sinnfälligste Moment in der Dynamik erotischer Begegnungen..» Dies wollte ich auch für die heutige Zeit geltend machen. Aber um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, machte ich meinen Kundinnen deutlich, dass es sinnvoll sei, klar zu unterscheiden zwischen den Korsetts, die ihre Schönheit zur Geltung bringen und von solchen, die die erotische Attraktivität betonen – und die Letzteren nur im jeweils passenden, d.h. im privaten Kontext einzusetzen. Dort allerdings versprechen sich Frauen von ihren privaten Inszenierungen oft mehr, als diese tatsächlich erbringen, wie es sich auch später im Fall meiner Kundin herausstellte.

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Frau im Korsett: Schön oder sexy? Weibliche Attraktivität im Wandel der Zeit

Die Soziologin Eva Illouz macht in ihrem Buch «Warum Liebe weh tut» darauf aufmerksam, dass sich die heute so wichtige Sexyness deutlich vom Begriff der Schönheit unterscheidet. Bis ins 19. Jh. galten Frauen als attraktiv aufgrund der Schönheit, die nicht nur als eine körperliche, sondern zugleich eine geistige Eigenschaft verstanden wurde: «Die sexuelle Attraktivität als solche stellt ein neues Bewertungskriterium dar, das gleichermassen von der Schönheit wie vom moralischen Charakter abgelöst ist.» Sie ist darauf ausgerichtet, durch bewusst eingesetzte körperliche, sprachliche und kleidungsbezogenen Kodes direktes sexuelles Begehren auszulösen.
Auch Valerie Steele betont, dass Schönheit bis in die viktorianische Epoche immer auch als spirituelle, intellektuelle und ethische Exzellenz begriffen wurde und «perfekter Körper gleichzeitig noble Seele bedeutet». – Korsettmode hat zwar die erotische Attraktivität der Frauen erhöht, gleichzeitig war sie aber in den kulturellen Kontext eingebettet. So z.B. waren die exzentrischen und auffallenden Kleider den Maitressen und Kokotten vorbehalten, während es nur für die verheirateten Frauen als angemessen galt, wertvolle, aber elegante Kleider zu tragen, und von den jungen Frauen und Mädchen Bescheidenheit äusserer Erscheinung verlangt wurde. Das Korsett durfte das Dekolleté durchaus zur Geltung bringen, aber die erlaubte Tiefe wurde durch die Tageszeit, Art des gesellschaftlichen Anlasses und vor allem durch die Vertrautheit der sozialen Umgebung bestimmt. Das Korsett und die gesamte damit verbundene Gestaltung des Auftritts symbolisierten somit vor allem den gesellschaftlichen Rang und das Prestige, weshalb die Frauen mit dem niedrigeren gesellschaftlichen Status gern die Moden der Aristokratie und der Bourgeoisie nachahmten.

So sehr das Korsett die erotischen Reize der Frau hervorzuheben vermochte, besass es gleichzeitig eine etwas entgegengesetzte Bedeutung – die aufrechte Körperhaltung, die es erforderte, und der Schutz, welchen es dem Körper bot, demonstrierten die moralische Haltung der Trägerin. Bis Ende des 19. Jh. galt es für Frauen aller Schichten als unsittsam, ohne Korsett in der Öffentlichkeit zu erscheinen – «lockeres Korsett- lockere Sitten» – lautete eine in England des 19. Jh. geläufige Redewendung.
All das unterscheidet sich sehr von der expliziter Reduktion des weiblichen Körpers auf die optischen Reize und seine Funktion als Genussobjekt, wie wir es seit der Gründung des Magazin Plyboy 1953 erleben.

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Orgasm me first – Korsett in Zeiten der Me Too Bewegung

Ich traf meine Kundin, die so viel in ihre Verführung investiert hatte alleine in meiner Salon-Veranstaltung wieder, die der weiblichen Lust und der erotischen Selbstbestimmung gewidmet war. Ihr Freund hatte sie verlassen, nachdem sie etwas konsequenter auf dem eigenen sinnlichen Vergnügen beharrt hatte. Sie fragte mich, ob ich ihre Korsetts für Ausstellungszwecke verwenden möge, weil sie sich nicht mehr an ihre Leidenschaft erinnern will. Die Geschichte entfachte eine angeregte Salon-Diskussion und es stellte sich heraus, dass sich einige Frauen heute als Verliererinnen der sexuellen Revolution sehen, weil sie in der freien Sexualität nicht nur dazu gezwungen werden auf Liebe und Wertschätzung, sondern oft sogar auf die sexuelle Befriedigung zu verzichten. Auch die Umfragen von Psychologinnen und Sexologinnen belegen, dass insbesondere junge Frauen im intimen Setting mit einem egoistischen Verhalten der Männer konfrontiert sind, und den männlichen Dominanzstrategien oft nicht entgegenzuwirken vermögen. Die Kultur der Moderne, welche die sexuelle Freiheit der Frauen als Zeichen ihrer Macht stilisiert, ermächtigt sie offensichtlich noch weniger dazu, für ihr eigenes sinnliches Vergnügen einzustehen, als es in Zeiten meiner Jugend üblich war.
Da ich nicht nur Korsettdesignerin, sondern auch Psychologin bin, und den Wunsch verspüre, Frauen zu ermutigen, nicht nur an die Verführungskunst zu denken, sondern auch für ihre sinnlichen Bedürfnisse einzustehen, habe ich anschliessend ein Korsett mit der Aufschrift «#Orgasm me first» kreiert. Es wurde ganz schlicht. Ich liess die auffordernde Aussage in Schwarz auf einem weissen Leinenstoff aufdrucken. Die junge Frau in der Druckerei, die meinen Auftrag entgegennahm, liess sich in kein Gespräch über die Aussage der Kreation verwickeln und erledigte ihren Auftrag mit einer unerschütterlichen sachlichen Neutralität. Als meine Arbeit an diesem Korsett beendet war, wurde mir bewusst, dass dies vorerst meine letzte Kreation war.

Ob eine Frau, die ein Korsett trägt, heute noch als Subjekt oder lediglich als Lustobjekt betrachtet und erlebt wird, hängt offensichtlich vom Potential des Betrachters ab. In Zeiten der Sexualisierung und Vermarktung des weiblichen Körpers liegt die Gefahr nahe, dass die Frau auch im Korsett lediglich auf die primären Reize reduziert wird. Mir wäre es lieber, wenn ein Korsett erneut als Ausdruck von Schönheit und innerer Stärke fungierte, und vorerst Distanz signalisiert. Wenn die Diagnose von Eva Illouz über das Vorherrschen des hedonistischen Kalküls und die zunehmende Unfähigkeit, tiefe, verlässliche Bindungen einzugehen, stimmt, dann gilt es, den Einsatz der Verführungskräfte gut abzuwägen, auch wenn diese überall im Namen der Befreiung eingefordert werden. Vielleicht kann sich die Frau von heute zum Subjekt ihrer sinnlichen Inszenierung machen, indem sie den begehrenden männlichen Blick, der ihr begegnet, zu lenken beginnt? Möglicherweise dürfte sie ihn überhaupt erst dann erwidern, wenn er nicht nur Begehren, sondern Liebe – und am besten jenseits des Boudoirs – zum Ausdruck bringt.


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Literatur:

Valerie Steele: Fashion and Eriticism , Oxford University Press 1985
Valerie Steele: The Corset, Yale University Press 2001
Ridikül. Mode in der Karikatur, Du Mont 2003
Eva Illouz: Warum Liebe weh tut: Surhkamp 2016
Sandra Konrad: Das beherrschte Geschlecht, Piper 2017
Konrad Liesmann: Der Listige Gott, Zsolnay 2002


Danksagung:

Mein Dank geht an alle Freunde, die mir beim redigieren des Textes behilflich waren,  insbesondere an meine Schreibmentorin Marianne Ulmi.
Ich bin allen Fotografen dankbar, die meine Arbeit dokumentiert haben. Besonders dankbar bin ich Ewald Vorberg, der über mehrere Jahre hinweg mit viel Geduld an der Umsetzung meiner Vision der Sinnlichkeit, die der Subjektivität der Frau von heute gerecht wird,  beteiligt war.


Ausstellung:

Eine grosse Retrospektive meines Schaffens wird im Rahmen einer Ausstellung „Korsetts – edel und bunt geschnürt“, die auch historische Korsetts zeigt, im Museum Spielzeug-Welten in Basel vom 15. April bis 9. Oktober 2019 zu sehen sein. Meine gesamte Kollektion von 45 hochwertigen, handgefertigten Korsetts, wird nach der Ausstellung zum Kauf angeboten oder aber kann für weitere Ausstellungszwecke gemietet werden. Angaben zur Ausstellung finden Sie in meinem Blogartikel und auf der Homepage des Museums.

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Wollust – die schönste Todsünde. Lesung im Salon von Beata Sievi

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Korsett mit galanter Grafik, Beata Sievi Corset Artist 2003

Sexuelle Empfindungen und sexuelle Aktivitäten hängen mit der Befriedigung zentraler menschlicher Bedürfnisse zusammen. Sie zeigen eine große Variationsbreite sowohl in der Intensität des Erlebens als auch im Spektrum des sexuellen Verhaltens. Das sinnliche Verlangen kann einen Menschen gelegentlich derart überwältigen, dass dieser für Stunden, Tage oder sogar Wochen das Gefühl hat, nicht mehr Herr seiner selbst zu sein. „Mit Wollust zu leben ist, als wäre man an einen Geistesgestörten gefesselt“ – sagt Philosoph Simon Blackburn in seinem Essay „Wollust. Die schönste Todessünde.“ Und er betonnt, dass so etwas wie kontrollierte Ektase gar nicht gibt – wenn man vor Lust die Erde beben spürt. So ergeht es auf jeden Fall auch dem Protagonisten des Romans „Morbus Fonticuli“ von Frank Schulz, der der sexuellen Energie und dem üppigen Körper der Exfloristin Bärbel verfällt, und  dabei Verstand und Stellung verliert. Seine auserwählte scheint ein Archetypus der lustvollen Frau zu sein, die sich um nichts anderes, als um sinnliches Vergnügen kümmert:

«Sie war eine Holly Golightly aus der Provinz. Sie war eine der wenigen Frauen ohne Handtasche, die ich kannte; Geld trug sie lose in den Jeans beziehungsweise, wenn sie ein Kleid anhatte, in den Stiefelchen, im Slip oder im Dekolleté. Scheine, versteht sich. Münzen verwendete sie – und keineswegs erst zur Zeit ihres gerade zu spät venezianischen Lebensstils als prosperierende Geschäftsfrau – als Trinkgeld und Almosen, oder sie schenkte es Kindern. Sie rannte einfach so in der Gegend herum, nichts am sensationellen Leib als das Nötigste. Im Sommer lief sie barfuss, den Haustürschlüssel am Halskettchen, darüber ein leichtes Fähnchen: ohne Geld, ohne Sorgen, ohne Verlegenheiten. Fast immer fand sich ein lüsterner Grünschnabel, ein Marktbeschicker oder Schornsteinfeger, ein Intellektueller Stromer oder chevalesker Frührentner, der sich Schwachheiten einbildete und ihr ein Eis oder ein Glas Sekt spendierte. Sie lebte in den Tag und in die Nacht hinein, nicht nur in die Samstagnacht wie so viele ihre Altersgenossen.» Gab es für diese Romanfigur ein reeller Prototyp oder handelt es sich um reine Phantasie des Autors und die männliche Phantasie schlechthin?

Korsett mit galanter Grafik, Beata Sievi Corset Artist 2003, Silber Schnalle: Priska Steiner
Korsett mit galanter Grafik, Beata Sievi Corset Artist 2003, Silber Schnalle: Priska Steiner

Die 1,5 Stündige Lesung „Bärbel Episoden – oder die Fesseln der Wollust“, die am 6. April in meinem Salon stattfinden wird, bietet eine Auswahl der aufregendsten sinnlichen Abenteuer von Bodo und Bärbel. Faszinierend und fesselnd sind dabei nicht nur die sonderbaren Freilichtakten und originellen Szenarien der sinnlichen Begegnungen, sondern die Dynamik der gegenseitigen sexueller Herausforderung. „Wollust ist hier wie gemeinsames musizieren, wie eine harmonische Symphonie aus Freude und entsprechender Reaktion“ – beschreibt Blackburn eine glückliche Liebesbegegnung, was auch auf Bodo und Bärbel zutrifft.  Hier finden beide nicht in erster Linie Gefallen an sich salbt, sondern an der Erregung des anderen. Die Liebesszene auf der Köhlbrandbrücke gehört mit Sicherheit zu den gewagtesten Liebesszenen der Literatur. Wer an ihr Anstoss nimmt, dem sei erinnert, dass selbst der griechische Philosoph Diogenes den Geschlechtsakt als natürlich angepriesen hat, und um dies zu beweisen ihn mit seiner Frau Hipparchia auf den Treppen des Tempels  in aller Öffentlichkeit zu treiben pflegte.

Corset Colette Beata Sievi

Eindrücklich und sprachlich gewandt ist auch das Zugeständnis der Protagonisten des Romans für die gemeinsame Vorliebe für Lingerie, das die These vom Blackburn bestätigt, dass Wollust im wesentlichen die Vorfreude auf sexuelle Aktivität sei. Da auch meine Arbeit als Korsettdesignerin über die Jahre so verstandener Wollust diente, habe ich mit besonderer Freude folgenden Abschnitt des Romans von Schulz in die Strichfassung der Lesung, die zum ersten mal im 2006 in meinem Atelier stattfand, aufgenommen:

„Alle diese Körbchen, Leibchen, Höschen, diese tieffarbigen Korse- und Torseletts, diese Zierschnürrungen, diese Schleifchen und Schlaraffen, und Schlangengruben von Strümpfen! Manchmal hätte ich am liebsten niedergekniet vor den Puppen im Dessous Geschäft – o Bustier, o roter Tülleinsatz, o unziemliches Zaumzeug! O betörend schlüpfrige Phantasie, die du den Tanga über die Rüschenbändsel zu ziehen die Dekorateurin veranlasstest! O winziger technischer Appeal der blinkenden Schnalle inmitten der sündigen Feinstofflichkeit – o herrliche Sauerei! Die reinste Gehirnwäsche!“

Der Text verquirlt Nonsens und Kalauer, Ironie und Sarkasmus, Satire und Parodie, und ist – in der hervorragenden Interpretation des Schauspielers Ulrich Vogel – ein furioses Hörvergnügen. Ich freue mich darauf am 6. April 2019, nach 12 Jahren seit der ersten Lesung, den Text noch ein mal zu hören und diese Freude mit meinen Salon-Gästen zu teilen. Nach der Lesung findet eine moderierte Diskussion statt. Wir diskutieren darüber, ob und unter welchen Umständen sexuelle Impulse die Kraft besitzen unsere Willensprozesse zu durchkreuzen.

Wichtige Informationen über die Veranstaltung:

Teilnehmer*innen Zahl ist auf 18 Personen beschränkt. Es sind derzeit noch 4 Plätze frei. Anmeldung bis 8. März an salon@beatasievi.ch. Bitte bei Anmeldung volle Anschrift angeben.
Datum: 6. April 2019, 17-21 Uhr, Eintrittspreis: CHF 65 Neugäste/ CHF 55 Stammgäste inkl. Konsumption (Prosecco, Wein, Kafé, Tee, Salziges und Süsses. Ort: Salon-Bibliothek von Beata Sievi, Winterthur

Informationen über den Schauspieler:

Ulrich Vogel wirkt als Schauspieler, Sänger, Sprecher, Kabarettist und Bühnenbildner im Raum Karlsruhe – Frankfurt. Die Bühnenreife erlangte er am Staatstheater Karlsruhe.
Von 1992 – 2005 war er am Theater der Stadt Heidelberg als Schauspieler engagiert. Dort gewann er auf Grund seiner stimmlichen Fähigkeiten, auch spartenübergreifend, als Sänger ein treues Publikum. Daneben hat er sich durch zahlreiche, vor allem auch erotische Lesungen im Frankfurter Venusberg, einen Namen als gefragter Vorleser gemacht. Derzeit arbeitet er freiberuflich mit Wohnsitz in Karlsruhe.

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John Collier, Lilith, 1887