Im Interview mit Ladboten vor Kurzem wurde ich gefragt, ob ein Korsett ein Symbol für weibliche Unterdrückung oder Ermächtigung darstellt. Bereits 2018 habe ich diese Frage in meinem Essay erörtert und die Auseinandersetzung mit dem Thema führte zur Kreation eines besonderen Hashtag-Korsetts. Leider wurde diese Kreation von Museum Spielzeug Welten Basel, das 2019 eine Retrospektive meiner Arbeit organisierte, abgelehnt. Umso mehr freut es mich, dass das Korsett ab dem 14. Juni im Schaufenster des Café Lou Salome anlässlich des Feministischen Frauenstreiks zu sehen sein wird. Im Folgenden sind die wichtigsten Fragmente aus meinem Essay über weibliche Schönheit und Sexiness zu lesen.

Die Soziologin Eva Illouz macht in ihrem Buch «Warum Liebe weh tut», darauf aufmerksam, dass sich die heute so wichtige Sexyness deutlich vom Begriff der Schönheit unterscheidet. Bis ins 19. Jh. galten Frauen als attraktiv aufgrund der Schönheit, die nicht nur als eine körperliche, sondern zugleich eine geistige Eigenschaft verstanden wurde: «Die sexuelle Attraktivität als solche stellt ein neues Bewertungskriterium dar, das gleichermassen von der Schönheit wie vom moralischen Charakter abgelöst ist.» Sie ist darauf ausgerichtet, durch bewusst eingesetzten körperlichen, sprachlichen und kleidungsbezogenen Kode direktes sexuelles Begehren auszulösen.
Auch Valerie Steele betont, dass Schönheit bis in die viktorianische Epoche immer auch als spirituelle, intellektuelle und ethische Exzellenz begriffen wurde und «perfekter Körper gleichzeitig noble Seele bedeutet». – Korsettmode hat zwar die erotische Attraktivität der Frauen erhöht, gleichzeitig war sie aber in den kulturellen Kontext eingebettet. So z.B. waren die exzentrischen und auffallenden Kleider den Maitressen und Kokotten vorbehalten, während es nur für die verheirateten Frauen als angemessen galt, wertvolle, aber elegante Kleider zu tragen, und von den jungen Frauen und Mädchen Bescheidenheit äusserer Erscheinung verlangt wurde. Das Korsett durfte das Dekolleté durchaus zur Geltung bringen, aber die erlaubte Tiefe wurde durch die Tageszeit, Art des gesellschaftlichen Anlasses und vor allem durch die Vertrautheit der sozialen Umgebung bestimmt. Das Korsett und die gesamte damit verbundene Gestaltung des Auftritts symbolisierten somit vor allem den gesellschaftlichen Rang und das Prestige, weshalb die Frauen mit dem niedrigeren gesellschaftlichen Status gern die Moden der Aristokratie und der Bourgeoisie nachahmten.

So sehr das Korsett die erotischen Reize der Frau hervorzuheben vermochte, besass es gleichzeitig eine etwas entgegengesetzte Bedeutung – die aufrechte Körperhaltung, die es erforderte, und der Schutz, welchen es dem Körper bot, demonstrierten die moralische Haltung der Trägerin. Bis Ende des 19. Jh. galt es für Frauen aller Schichten als unsittsam, ohne Korsett in der Öffentlichkeit zu erscheinen – «lockeres Korsett- lockere Sitten» – lautete eine in England des 19. Jh. geläufige Redewendung. All das unterscheidet sich sehr von der Reduktion des weiblichen Körpers auf die optischen Reize und seine Funktion als Genussobjekt, wie wir es in der heutigen Kultur erleben. (…)

Sowohl während der Diskussionen mit Frauen in meinem Salon für Philosophie und Beziehungskultur als auch durch die Lektüre der aktuellen Berichte der Psychologinnen und Sozialforscherinnen, wurde mir zunehmend bewusst, dass sich einige Frauen heute als Verliererinnen der sexuellen Revolution sehen, weil sie in der freien Sexualität nicht nur dazu gezwungen werden auf Liebe und Wertschätzung, sondern oft sogar auf die sexuelle Befriedigung zu verzichten.
Da ich nicht nur Korsettdesignerin, sondern auch Psychologin bin, und den Wunsch verspüre, Frauen zu ermutigen, nicht nur an die Verführungskunst zu denken, sondern auch für ihre sinnlichen Bedürfnisse einzustehen, habe ich anschliessend ein Korsett mit der Anschrift «# Orgasm me first» kreiert. Es wurde ganz schlicht. Ich liess die auffordernde Anschrift in Schwarz auf einem weissen Leinenstoff aufdrucken. Als die Kreation vollendet war, realisierte ich, dass sie ein Abschluss einer Schaffensphase ist, die dem Thema der Verführung gewidmet war.

Ob eine Frau, die ein Korsett trägt, heute noch als Subjekt oder lediglich als Lustobjekt betrachtet und erlebt wird, hängt offensichtlich vom Potential des Betrachters ab. In Zeiten der Sexualisierung und Vermarktung des weiblichen Körpers liegt die Gefahr nahe, dass die Frau auch im Korsett lediglich auf die primären Reize reduziert wird. Mir wäre es lieber, wenn ein Korsett erneut als Ausdruck der Schönheit und innerer Stärke fungierte, und vorerst Distanz signalisiert. Wenn die Diagnose von Eva Illouz über das Vorherrschen des hedonistischen Kalküls und die zunehmende Unfähigkeit, tiefe, verlässliche Bindungen einzugehen, stimmt, dann gilt es, den Einsatz der Verführungskräfte gut abzuwägen, auch wenn diese überall im Namen der Befreiung eingefordert werden. Vielleicht kann sich die Frau von heute zum Subjekt ihrer sinnlichen Inszenierung machen, indem sie den begehrenden männlichen Blick, der ihr begegnet, zu lenken beginnt? Möglicherweise dürfte sie ihn überhaupt erst dann erwidern, wenn er nicht nur Begehren, sondern Liebe – und am besten jenseits des Boudoirs – zum Ausdruck bringt.

Das Hashtag-Korsett und 7 weitere meiner Korsett-Kreationen, darunter auch die opulente Krinoline „Madame Dubarry“ sind derzeit im Kaffee Lou Salome an der Schulgasse in Winterthur zu sehen. In kommenden Tagen wird dort auch die exclusive, gedruckte Ausgabe meines Essays „Frau im Korsett“ erhältlich sein.
