Es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis, antike Korsettstoffe in die Hand zu nehmen. Die überwältigende Vielfalt feiner, schimmernder Muster, die geschmeidigen Oberflächen, die Art und Weise, wie jedes Motiv von der Geschichte der Damenmode und der Webekunst erzählt – all das erfüllt mich mit … Korsettkunst erleben: Staunen, Gestalten, Bewahren weiterlesen
Von den ersten Fundstücken bis ins Museum Es berührt mich jedes Mal, ein Stück aus meiner Sammlung in die Hand zu nehmen – ein Fragment von Stoff, Spitze oder ein alter Werbebogen – und zu wissen, dass genau diese Objekte bald im Textilmuseum St. Gallen im … Mode sammeln – meine historische Sammlung im Textilmuseum St. Gallen weiterlesen
Nach der aufregenden Entdeckung und Rettung historischer Korsettstoffe im Februar dieses Jahres freue ich mich, nun mein neuestes Werk präsentieren zu können: das Korsett „L’heure blue“. Dieses Korsett, gefertigt aus den edelsten Stoffen der vergangenen Jahrhunderte, ist eine Hommage an die textile Geschichte und die … Korsett „L’heure Blue“: Eine Hommage an die Korsettkunst und textile Geschichte weiterlesen
Vanity Cases sind mehr als nur funktionale Accessoires. Sie sind elegante Begleiter, die eine reiche Geschichte in sich tragen. In meinem neuesten Projekt habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, diese Geschichte wieder aufleben zu lassen, indem ich exklusive Vanity Cases aus antiken Korsettstoffen herstelle. … Vanity Cases aus antiken Korsettstoffen: Geschichte, Handwerkskunst und Vintage-Charme weiterlesen
Manchmal sind Künstler nach ihrem Auftritt so erschöpft, dass nur der unaufhörliche Applaus des Publikums sie zu einer Zugabe bewegen kann. Ähnlich erging es mir, als ich endgültig den Entschluss fasste, meine Laufbahn als Korsettdesignerin zu beenden. Doch dann trat ein leidenschaftlicher Korsettliebhaber in mein … Die Beharrlichkeit eines Korsettenthusiasten: das letzte Masswerk weiterlesen
Im Februar eröffnete sich mir eine aussergewöhnliche Gelegenheit, auf dem Dachboden eines Hauses in Baden eine beeindruckende Sammlung von Korsetts und kostbaren Korsettstoffen aus den Jahren 1890 bis 1960 vor einer Hausräumung zu retten. Diese Entdeckung war nicht nur ein Fenster in vergangene Jahrzehnte der … Vom Dachboden auf die Bühne: Die Entdeckung vergessener Korsett-schätze weiterlesen
Haben Sie schon einmal versucht, ein Korsett mithilfe künstlicher Intelligenz anzufertigen? Ich habe es versucht, die KI nach den entsprechenden Anleitungen zu fragen, und die Ergebnisse waren enttäuschend. Deshalb biete ich weiterhin meine Kurse in der Kunst der Korsettherstellung an. Denn nichts kann das persönliche … Korsettherstellung: Traditionelles Handwerk trifft auf persönliche Anleitung weiterlesen
«Kleider machen Leute» – das galt schon bei Keller, und es gilt noch heute. Genauso wie wir den persönlichen Stil unserer Mitmenschen wahrnehmen, beschreiben Schriftsteller raffinierte modische Kleidung, um ihre Roman-Charaktere greifbarer zu machen. Wie beschreibt man Stil? Den Rock als Ausdruck der Persönlichkeit darzustellen; … Worte der Schönheit – Literarische Modegeschichten und Korsetts weiterlesen
Im Interview mit Ladboten vor Kurzem wurde ich gefragt, ob ein Korsett ein Symbol für weibliche Unterdrückung oder Ermächtigung darstellt. Bereits 2018 habe ich diese Frage in meinem Essay erörtert und die Auseinandersetzung mit dem Thema führte zur Kreation eines besonderen Hashtag-Korsetts. Leider wurde diese … Frau im Korsett: Schön oder sexy? Weibliche Attraktivität im Wandel der Zeit weiterlesen
Im 19. Jahrhundert waren Kaffeehäuser nicht nur ein Ort des Genusses, sondern auch Zentren des gesellschaftlichen Lebens. Hier trafen sich Menschen verschiedener Schichten, um sich auszutauschen, zu diskutieren und modische Trends zu präsentieren. Inmitten dieses pulsierenden kulturellen Umfelds fand sich auch die Korsettmode wieder, die … Der Zauber vergangener Eleganz: Korsettausstellung im Kaffee Lou Salomé in Winterthur weiterlesen
Spitzenbustier angefertigt unter der Anleitung von Beata Sievi
Korsetts und Bustiers, die von Lingerie inspiriert sind und als Abendgarderobe getragen werden, sind regelmässig in den Couture-Kollektionen zu sehen. Die eingesetzten BH-Schalen betonen das Dekolleté und sind ein absoluter Blickfang. Daher ist auch mein Spitzenbustier-Kurs besonders gefragt. Da er jedoch zu den anspruchsvollsten sowohl in Vorbereitung als auch im Unterricht gehört, gebe ich ihn nicht sehr oft.
Im Januar 2023 habe ich nach einer dreijährigen Pause den Spitzenbustier-Kurs wieder in mein Kursprogramm aufgenommen und konnte seit Jahresbeginn bereits vier erfahrene Damenschneiderinnen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich in der Kunst der Bustieranfertigung unterrichten. Es ist für mich immer wieder ein besonderes Erlebnis, talentierte Fachkräfte zu treffen und einen professionellen Austausch zu pflegen. Zudem berührt es mich zutiefst, wie sehr mein Fachwissen geschätzt wird und wie gekonnt es von meinen Kursteilnehmerinnen umgesetzt wird. Wenn ich bedenke, dass ich im Jahr 2009, als ich mit dem Unterrichten begann, unsicher war, ob dies eine gute Idee sei und ob überhaupt Interesse bestünde, bin ich umso glücklicher darüber, dass es heute die Tätigkeit ist, die mich mit Sinn und Befriedigung erfüllt.
Spitzenbustier Anfertigung Kurs bei Beata Sievi Corset Artist
Die Teilnehmerinnen schätzen es, in den gut eingerichteten und atmosphärischen Räumlichkeiten zu sein, die ich für die Kurse zur Verfügung stelle, und meine Korsettkreationen aus der Nähe betrachten und analysieren zu können. Zudem gibt es in den Pausen genug Zeit für den Austausch über Marketingaspekte, und ich kann vieles aus meiner 20-jährigen Erfahrung in der Beratung anspruchsvoller Kundschaft und in der Vermarktung eines Nischenprodukts weitergeben. Obwohl ich derzeit aufgrund anderer beruflicher Verpflichtungen keine Korsett-Massanfertigung anbiete, bin ich froh, dass ich auf diese Weise immer noch in Kontakt mit meinem Handwerk und der Berufswelt bleibe.
Die Anfertigung eines Bustiers hat mich seit Beginn meiner Tätigkeit als Corsetière fasziniert, jedoch war es sehr schwierig, ohne spezifisches Wissen, das nirgendwo zugänglich war, damit umzugehen. Im Jahr 1999 kam ich auf die Idee, ein Praktikum in einer kleinen Manufaktur in meiner Heimatstadt Gdansk, Polen, zu absolvieren, um dort die entsprechenden Lingerie-Nähtechniken zu erlernen. Im Gegensatz zu einer Dessous-Fabrik, die über mehrere speziellen Maschinen verfügt, um einen BH oder ein Bustier herzustellen, verfügte das kleine Unternehmen in Danzig nur über eine einzige, sehr einfache Nähmaschine. Die erfahrenen Schneiderinnen wussten dennoch mit Geduld und Geschick alle nötigen Arbeitsvorgänge auszuführen und haben mir geholfen, mein erstes Bustier aus weißer Spitze herzustellen. Noch heute basiert meine Arbeit auf dem damals erworbenen Grundwissen.
Agnieszka, erstes Model von Beata Sievi im weissen Spitzenbustier. Opernhaus Zürich, 1999
Agnieszka im Korsett von Beata Sievi aus weissen Baumwollesatin, Opernhaus Zürich 1999.
Ich habe mich bald an weitere Bustiers gewagt und – wie jeder Anfänger – versucht, auch die Modelle bekannten Modedesigners nachzuahmen, um etwas über die Technik und Machart zu lernen. Im Laufe der Jahre habe ich meine Anfertigungstechniken perfektioniert und mich den Anforderungen der Haute Couture angepasst, ohne dabei jemand zu kopieren. Durch die Zusammenarbeit mit dem renommierten Spitzenlieferanten Forster Rohner konnte ich mich auf die massgeschneiderte Herstellung von Spitzenbustiers aus St. Galler Spitze spezialisieren, die meinen romanischen Stil über viele Jahre geprägt hat.
Dieses, in den 20 Jahren meiner Arbeit als Corsetiére erworbene Fachwissen, gebe ich in Form von einem 2,5-tägigen Kurs an ausgebildete Fachpersonen weiter. Das Ziel des Kurses ist die Anfertigung eines Musterstücks in Größe 36. Die Kurse finden entweder mit einer oder höchstens zwei Teilnehmerinnen in Winterthur statt. Die Farben der St.Galler Spitze variieren von Kurs zu Kurs, und als Kursleiterin bin ich immer wieder gespannt auf die besonderen Details, die aus der Inspiration der Teilnehmerinnen entstehen.
Dekorationen am säum des Spitzenbustiers anbringen – Kurs von Beata Sievi Corset Artist , März 2023.
Ich bin dankbar für die Gelegenheit, meine Leidenschaft zu teilen und andere dazu zu inspirieren, ihre eigenen kreativen Fähigkeiten zu entdecken und freue mich jetzt schon auf neue Anmeldungen für die zweite Hälfte des Jahres 2023 unter der Adresse atelier@beatasievi.ch.
Individuelle Details beim Bustier – Kursmodel, unter Anleitung von Beata Sievi, Januar 2023
The making of a bustier has fascinated me since the beginning of my career as a corsetiere, but it was very difficult to handle without specific knowledge that was not accessible anywhere. In 1999, I came up with the idea of doing an internship in a small workshop in my hometown of Gdansk, Poland, to learn the necessary lingerie sewing techniques. Unlike a lingerie factory that has several special machines to make a bra or a bustier, the small company in Gdansk had only one very simple sewing machine. However, the experienced seamstresses knew how to perform all the necessary processes with patience and skill, and they helped me make my first bustier from white lace.To this day, my work is based on the basic knowledge I acquired back then.
The art of making lace corset – course for trained dressmakers and tailors by Beata Sievi in Winterthur, Switzerland, 2023
Over the years I have perfected some of the techniques and adapted to the demands of haute couture. Through collaboration with the renowned lace supplier Forster Rohner, I have specialized in custom-made lace bustiers made from St. Gallen lace. I pass on this expertise in the form of 2.5-day courses to trained professionals. The aim of the course is to create a sample piece in size 36. The courses are held in Winterthur with either one or a maximum of two participants. The colors of St. Gallen lace vary from course to course, and as a course instructor, I am always delighted with the special details that arise from the participants‘ inspiration. I am already looking forward to new registrations for the second half of 2023 at the address atelier@beatasievi.ch. I am grateful for the opportunity to share my passion and inspire others to discover their own creative abilities.
Lace corset made during the course by Corset Artist Beata Sievi, January 2023
You wil find more information about my courses here.
Seit zwei Jahren schon nehme ich keine Aufträge für Korsettanfertigung mehr an. Auch wenn diese Information auf meiner Homepage ersichtlich ist, bekomme ich immer noch interessante Anfragen. Kürzlich rief mich ein Mann an, der lange Zeit für den Luxus eines bei mir angefertigten Korsetts gespart … Der Mann im Korsett weiterlesen
Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller
„Wenn ich gut aussehe, fühle ich mich unbesiegbar“, – diesen Satz wählte Flurina Rothenberger, Journalistin des digitalen Magazins Republik, als Titel eines Artikels über den jungen afrikanischen Modedesigner und Fotografen Andile Buka. Bukas Statement steht für das in der afrikanischen Kultur typische Bedürfnis, durch äussere Erscheinung positiv aufzufallen, und dies ungeachtet der nicht selten prekären Lebensumstände. Die Modeaufnahmen von Andile Buka zeichnen sich durch eine innovative Bildersprache aus, die mit Coolness und Selbstbehauptung Kleider in Szene setzt, die nicht aus neuen, teuren Stoffen, sondern aus gebrauchter und ausrangierter Markenware entstanden sind. Dieses Upcycling-Design, ursprünglich aus dem sog. „thriften“ (thrift = Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit) entstanden, wurde in Afrika in den letzten Jahren zu einem neuen, wichtigen Trend.
Die Models auf Bukas Bildern wirken erstaunlich selbstbewusst, auch wenn ihre Jacken und Hüte aus Fragmenten verschiedener ausgetragener Kleider gemacht sind. Ihr Look ist gepflegt und in der Unkonventionalität leicht herausfordernd. „Sogar wenn ich nichts besitzen würde, wenn ich gepflegt und gut aussehe, fühle ich mich unbesiegbar und bereit, meine Probleme anzugehen,“ sagt der Designer und Fotograf. Ein Satz – eine Haltung. Darin erkannte ich mich spontan wieder. Dass die Bedeutung der äusseren Erscheinung für mich als Bekleidungsgestalterin und Korsettdesignerin während der 20-jährigen Berufskarriere selbstverständlich war, wird niemanden überraschen. An dieser Einstellung halte ich auch bei meinem jetzigen Engagement im sozialen Bereich fest, der seit einem Jahr mein neues Wirkungsfeld ist.
*The Sartists“, Andile Buka
Eleganz oder Nonchalance?
Angestellt als sozialpädagogische und später psychologische Praktikantin – obwohl mit einem anerkannten Diplom, zahlreichen Weiterbildungen und umfangreicher Lebenserfahrung im Gepäck – fand ich mich plötzlich auf der untersten Stufe der institutionellen Hierarchie. Eine besondere Lage für jemanden, der 20 Jahre ein eigens Unternehmen geführt hat. Im vergangenen Jahr kam ich mir oft vor, als würde ich nichts besitzen. Denn Fähigkeiten, die von der sozialen Umgebung nicht wahrgenommen und geschätzt werden, vermögen uns keine Kraft und kein Selbstbewusstsein zu verleihen. In dieser Lage blieb meine äussere Erscheinung manchmal das Einzige, was ich bewusst gestalten konnte, und ein Signal, dass ich mich selbst nicht aufgebe, trotz der Versuche meiner Umgebung, mich klein zu halten.
Anthropolog*innen halten den Drang, die eigene Attraktivität mit Hilfe materieller Güter zu steigern, gar für eines der ersten Zeichen der Zivilisation. Dieser Drang scheint allerdings nicht in allen gesellschaftlichen Feldern gleich ausgeprägt zu sein. Die sozialen Berufe, zumindest in der Schweiz, scheinen mir jedenfalls wenig davon gezeichnet. Hier ist eine nonchalante oder sogar abschätzige Haltung gegenüber Mode und Eleganz vorherrschend. Die inneren Werte im Blick, ist man bemüht zu beweisen, es nicht nötig zu haben, etwas darzustellen. Auf die Spitze trieb es einmal ein Sozialpädagoge, den ich als Referenten in meinen Salon eingeladen habe. Als ich ihn informierte, dass der Dress-Code meiner Abendveranstaltungen smart casual sei und die Gäste den eleganten Auftritt schätzten, antwortete er, dass er so kommen werde, wie er sei, und hoffe damit zu genügen. Und er trat in Turnschuhen, alten Jeanshosen und in einem ausgetragenen Hemd auf. Die Gäste fassten seine Gleichgültigkeit gegenüber der äusseren Erscheinung als ein beinahe aggressives Missachten der Regeln des Hauses auf. „Der Anspruch, um seiner unverstellten Authentizität willen genommen zu werden, wie man ist, hat etwas merkwürdig Narzisstisches“, stellt Modeforscherin und Philosophin Barbara Vinken in ihrem Buch „Angezogen“ fest. Denn damit bezeuge man, es nicht nötig zu haben, sich gegenüber den anderen in Beziehung zu setzen.
Erst, wer grosse Expertise auf einem Gebiet oder erfolgreiche Firmengründungen vorzuweisen hat, kann sich Brüche mit der Konvention leisten. Dann wird das, was bei andern unbeholfen oder peinlich wirken würde, als selbstbewusste Geste der Unabhängigkeit akzeptiert. Wenn z.B. Steve Jobs sich mit Jeans und Rollkragenpullover ostentativ über die Kleidunggebote der Businesswelt hinweggesetzt hat, wurde das gar als ein Zeichen der Kompetenz gedeutet.
Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller
In Jeans in die Oper?
Auch wenn manche es nicht wahrhaben wollen – Kleider sind ein Mittel der Kommunikation. „Durch ein angemessenes Äusseres zeigt man, dass man den Anlass und das Gegenüber respektiert, noch bevor das erste Wort gesprochen wurde. Es demonstriert den Willen und die Fähigkeit, sich in eine Gesellschaft einzugliedern“ behauptet die bekannte Imageberaterin, Elisabeth Motsch. Ihrer Ansicht nach trägt die zum Anlass passende Kleidung jenseits jeglicher verbalen Kommunikation dazu bei, eine gemeinsame Ebene mit dem Gegenüber zu schaffen. Hier gilt es, die Verbundenheit mit den anderen an die erste Stelle zu setzen und dafür die eigene momentane Befindlichkeit, z.B. die mangelnde Vorliebe für formelle Kleidung, zu überwinden. Es sei ein verhältnismässig kleiner Aufwand, der eine Übereinkunft und ein gutes Miteinander ermöglicht.
Daher schien es mir sinnvoll, in den sozialen Institutionen, in denen ich als Praktikantin tätig war, Respekt auch mittels gepflegter Erscheinung auszudrücken. Doch schon die Kombination von schwarzen Jeans und gebügeltem weissem Hemd veranlasste meinen Kollegen zur Frage, ob ich am Abend in Ausgang oder gar ins Opernhaus gehen wolle. Für mich aber käme dort ein solch bescheidenes Outfit einer Respektlosigkeit gegenüber den Künstlerinnen gleich. Im Abendkleid allerdings komme ich mir nun zunehmend deplatziert vor. Es hat sich, wie mein Kollege behauptete und ich selbst beobachte, mehr und mehr eingebürgert, in der Oper in Alltagskleidung zu erscheinen. Der gesellschaftliche Konsens betreffend Eleganz ist in der Schweiz offensichtlich am Erodieren.
Dass in der Schweiz die Kleidung so wenig geschätzt wird, erstaunt angesichts längst bekannter Erkenntnisse aus der Verhaltens- und Kognitionsforschung. Zahlreiche Experimente haben gezeigt, dass Kleider mit Status assoziiert sind, und deshalb die Kompetenz, Glaubwürdigkeit und selbst die Zuverlässigkeit der Menschen, die gut gekleidet sind, höher eingeschätzt werden. Auch die meisten der Menschen, die es abstreiten, dass äussere Attraktivität ihr Urteil beeinflusse, offenbaren in experimentellen Situationen, wie sehr sie das Aussehen anderer mit entsprechenden Charaktereigenschaften verbinden. „Kleide dich nicht für den Job, den du hast, sondern für den, den du haben willst“, empfiehlt daher Verhandlungsexperte Jack Nasher in seinem Bestseller „Überzeugt“. Ist das Zielstatus jedoch noch in weiter Ferne, muss man Fingerspitzengefühl haben – denn ein zu eifriges Nachahmen des Kleidungstils der in Rang höherstehenden könnte auch als Anmassung aufgefasst werden.
Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller
Taillenkorsett von Beata Sievi Corset Artist, kreativer Prozess
Taillenkorsett von Beata Sievi Corset Artist, kreativer Prozess
Casual oder opulent? Auf der Suche nach neuen Wegen in der Gestaltung
Inspiriert durch den Artikel über Andile Buka und das Ideal der sparsamen Eleganz – das zu meinem Praktikantenstatus und -Budget bestens passte – liess ich mich im April auf ein neues kreatives Projekt ein. Mein Vorsatz war es, mit ausschliesslich bei mir schon vorhandenem Material zu arbeiten. Ich wollte ein alltägliches Accessoire anfertigen, einen Taillengurt aus Stoffresten, der ungezwungen und casual elegant wirkt. In der Form gerade, im Esprit Patchwork. Bereits bei der Stoffauswahl merkte ich, wie mich die alte Gewohnheit zu den edlen Goldtönen von Satin und Stickereien hinzog. Meine Liebe zu Opulenz führte weiter dazu, dass ich die Stoffreste zusätzlich mit einem Goldfaden bestickte und mehrmals auswechselte, bis ich mit der harmonischen Kombination der Stoffmuster ästhetisch zufrieden war. Zum Schluss verwarf ich die Idee eines geraden Gürtels zu Gunsten ausgeprägter Taillenbetonung. Entstanden ist ein Taillenkorsett, das klassischen Eleganz verpflichtet ist, wie ich sie schon immer liebte und die mir das Gefühl der Unbesiegbarkeit verleiht. Allerdings eignet es sich tatsächlich viel eher für einen Opernbesuch als für meinen Arbeitsalltag. Summa summarum – der angestrebte coole Casual-Look ist mir nicht gelungen.
Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller
Beata Sievi Corset Artist, Winterthur, Mai 2020, Bild: Joachim Keller
Upcycling Design
So entschloss ich mich, weitere Inspirationen bei jungen Modedesignern zu suchen. Im Rahmen des Fashion Revolution Weeks Zurich, der dieses Jahr nur in Online-Form stattfinden konnte, stiess ich auf ein Angebot von Rafael Kuoto, einem jungen Schweizer Designer afrikanischer Herkunft, der auf Upcycling Design spezialisiert ist. Der sympathische Designer, der seine Kollektionen ausschliesslich aus gebrauchten Kleidern herstellt, bot ein Online-Seminar mit dem Titel „Pimp-up your wardorobe“ an, und ich liess mich von ihm in die Prinzipien und Techniken der Arbeit mit gebrauchten Kleidern und Materialien einweihen.
So entstand ein schwarzes Hemd mit Doppelkragen und blumigen Einsätzen im Stil von Elvis Presley. Mein erstes Outfit, das seinen Chick nicht den teuren Materialien, sondern ausschliesslich meiner Fantasie und der sorgfältigen Arbeit verdankt, und ganz der Philosophie des thrifting gerecht wird: Es kombiniert ein bereits zum Ausrangieren bestimmtes Hemd mit einem blumigen Stoff aus der Restekiste.
Begeistert von den neuen Möglichkeiten buchte ich einen Monat später zum zweiten Mal einen online Upcycling Workshop bei Rafael. Diesmal nahm mir vor, an einem neuen – lässigen – Korsettdesign zu arbeiten. Um mit meinen edlen ästhetischen Gewohnheiten zu brechen, die mich beim kreativen Prozess, insbesondere bei Korsetts, zu Opulenz verleiten, wählte ich, Rafaels Rat folgend, den gebrauchten Denim. Dieser Stoff hat – wie der junge Designer es formulierte – im Gegensatz zum Satin, mit dem ich normalerweise arbeite, «einen demokratischen Charakter». Als Stütze für die Konstruktion diente mir ein Probemodel des Rokokokorsetts, das ich 2011 für eins meiner Models fertigte.
Arbeit an einem Upcycling Korsett während des Workshops mit Rafael Kuoto
Beata Sievi Corset Artist – Korsett aus genrauchten Jeans – Vorbereitung
Beata Sievi Corset Artist – Korsett aus Jeans
Zwischen dem ersten und zweiten Samstag, an dem das Seminar stattfand, hatte ich genügend Zeit, um alte Jeanshosen aufzutrennen, die Stoffstreifen zu schneiden und auszufransen und die viktorianischen Spitzen aus meiner Sammlung passend zu färben. Schnell merkte ich, dass die Streifen im queren Fadenlauf wesentlich sinnlicher und wertvoller wirken, es aber viel mehr Zeit als beim Längsschnitt bedarf, sie vorzubereiten. Mein Sinn für opulente Dekorationen blühte doch wieder auf, wenn auch auf neue Art.
Beata Sievi Corset Artist – Korsett aus gebrauchten Jeans – Vorbereitung
Rafael war verblüfft und erfreute sich an meiner Schaffenskraft, und gab mir zusätzliche Hinweise, wie ich noch konsequenter mit meinen gestalterischen Gewohnheiten brechen könnte – zum Beispiel durch Verzicht auf die Symmetrie im Farbverlauf. Diese Idee überzeugte mich nicht auf Anhieb, doch ich nahm es mir vor, sie zumindest auszuprobieren. Symmetrisch oder nicht, das Korsett sieht bereits in Anfangsstadium auf keinen Fall nach einem Casual Look aus. Auch dieses Werk ist opulent und wird vermutlich mehr als ein Kunstobjekt als ein Kleidungsstück betrachtet werden können. Was notabene für Upcycling ein möglicher Weg ist. Wie ich in der Zwischenzeit herausfand, gibt es im Bereich der Upcycling Art ausserordentlich opulente, höchst ästhetische textile Kunstwerke und Rauminstallationen. Befreit von dem Zwang, das Korsett als ein tragbares Kleidungstück zu betrachten, werde ich vielleicht doch noch ganz neue Dimension der gestalterischen Opulenz entdecken?
Korsett aus gebrauchtem Denim – Entwurf, Beata Sievi Corset Artist
Und für den Alltag bleibt mir immerhin das Elvis-Presley – Hemd. Nicht so innovativ wie die Kleider von Andile Buka und von Rafael Kuoto, aber sowohl als Outfit als auch als Projekt im kreativen Atelier, wo ich nächstens eine Stelle als Fachmitarbeiterin antrete, bestens geeignet. Vielleicht ermögliche ich jungen Menschen dort, dieses Gefühl der Unbesiegbarkeit auch zu entdecken, das aus dem kreativen Schaffen und aus dem Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit entsteht?
Beata Sievi, Winterthur Mai 2020, Bild: Joachim Keller
Danksagung
Ich bedanke mich beim Fotografen Joachim Keller für die, in jeder Hinsicht, angenehme und inspirierende Fotosession : http://www.joachimkeller.com.
Mein grosser Dank geht auch an Marianne Ulmi vom Kopfwerken Ag für das einfühlsame und geduldige Lektorat.